Parrish Plessis 02 - Code Noir
nächtliche Musik war nicht das einzige Hintergrundgeräusch in Villas Rosa: In den kurzen Unterbrechungen zwischen den Liedern hörte man Kindergebrüll und die Schreie von Frauen. Und dann war da noch dieser eintönige Sprechgesang, der einem den Atem stocken ließ. Die Muenos lebten die Voodoo-Religion und führten regelmäßig Opferungen durch. Mein Magen verkrampfte sich jedes Mal, wenn ich daran dachte.
Wir gingen über einen kleinen Hof, der von den konzentrischen Bögen eines Villenblocks eingerahmt wurde. In der Mitte des überdachten Platzes streckte sich ein einzelner, kahler Baum wie ein knochiger Finger in die Höhe und durchbrach den Plasmaschirm über uns.
Ich kannte diesen Ort. An dieser Stelle hatte ich die Männer getötet, die sich einen Spaß daraus gemacht hatten, ein wehrloses Mädchen ohne Arme zu vergewaltigen.
Es war ein Fehler gewesen, hierher zurückzukommen; doch nun gab es kein Zurück mehr. Meine Knie wurden weich, und die Neonlichter verschwammen vor meinen Augen zu schwarzen und grauen Punkten…
… ich roch blutigen Eiter. Ich fühlte, wie die Wärme aus den toten Körpern entwich und wie Dampf um mich herum aufstieg. Der Schmerz raste wie eine Schockwelle durch meine Arme und Beine.
Fast schien es mir so, als würde mein Körper wachsen. Gab es einen Grund dafür? Warum sollte ich wachsen?
Roo holte mich unsanft in die Realität zurück, indem er mir einen Eimer Wasser über den Kopf goss.
Ich verschluckte mich und musste husten. »Was zum Teufel…? Woher hast du das Wasser?«
Roo deutete auf eine Pfütze unter einem verrosteten Fallrohr.
»Das Wasser… Das ist bestimmt kontaminiert«, stotterte ich ängstlich.
»Ich wusste nicht was ich tun sollte. Du… Na ja, dir ist da…« Verlegen deutete er auf meinen Mund.
Mein Kinn war mit einer Mischung aus Wasser und Speichel verschmiert. Ganz ausgezeichnet, Parrish. Jetzt läuft dir schon vor den Augen eines Kindes wie einer alten Frau der Sabber aus dem Mund.
»Wenn das noch einmal passiert, hältst du mir einfach den Rücken frei. Normalerweise komme ich nach einer Weile wieder zu mir.«
Roo nickte. In seinem Blick lag eine Mischung aus Schock und Besorgnis. Nun, zumindest war dieser gelangweilte Ausdruck aus seinem Gesicht gewichen.
Ich stand auf. »Wenn du jemandem davon erzählst, reiße ich dir deinen Prozessor heraus. Verstanden, Roo?«
Wir setzten unseren Weg fort. Roo hielt sich immer einige Schritte hinter mir, doch ich versuchte unterwegs trotzdem, mit ihm zu reden und ihn ein wenig zu beruhigen; mein kleiner Anfall hatte ihn ziemlich aufgewühlt. Roo mochte ja ein wandelndes Waffenarsenal sein, doch er besaß noch das Herz und den Verstand eines Kindes.
»Woher kennst du Larry eigentlich?«, erkundigte ich mich und verlangsamte meinen Schritt, bis Roo zu mir aufgeschlossen hatte.
»Larry hat sich schon immer um die Robokids gekümmert. Er gibt vielen von uns Arbeit. Larry glaubt, dass Doc Del Morte verrückt war. Er sagt auch, dass er ihm eine Kugel in den Kopf jagen würde, wenn Del Morte ihm eines Tages über den Weg laufen sollte.«
Die Chance, dass das geschehen würde, war sehr gering. Del Morte war bereits lange vor meiner Zeit aus dem Tert vertrieben worden. »Ein Robokid zu sein… Wie ist das für dich, Roo?«
»Ich finde mich irgendwie cool.« Sein Gesicht strahlte in der Dunkelheit förmlich vor Stolz. »Larry weiß nicht, wie es sich anfühlt, ein Robokid zu sein.«
»Kannst du dich an Del Morte erinnern?«
»Nur schwach. Der Doc hat uns hierher gebracht, bevor die meisten von uns überhaupt sprechen konnten.«
»Das heißt, viele von euch könnten dort draußen noch eine Familie haben.«
Roo schüttelte bestimmt den Kopf. »Nein. Meine Familie ist hier.« Er verschränkte die künstlichen Arme vor der Brust. »Sieh der Wahrheit ins Auge, Boss. Niemand würde einen Sohn wie mich wollen, nicht so, wie ich heute bin. Hier im Tert habe ich mir zumindest Respekt verdient.«
Ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen, doch ich verstand, was er mir sagen wollte. Roo hatte Recht, für jemanden wie ihn gab es keinen Weg zurück.
Und gleiches galt für mich.
Ich fragte mich, wie lange Roo noch blieb, bis das Interface zwischen seinen mechanischen und biologischen Körperteilen den Dienst aufgeben und alle lebenswichtigen Organe abschalten würde. Die Lebensspanne der Robokids variierte zwar sehr stark, doch Roo würde das Erwachsenenalter mit Sicherheit nicht erreichen. Deshalb war
Weitere Kostenlose Bücher