Parrish Plessis 02 - Code Noir
praktizieren, und an der Ostküste ist das Leesa Tulu. Sie betet Marinette an, eine Dienerin des Bösen, die nach fleischlichen Opfern verlangt. Leesa Tulu ist dafür berüchtigt, dass sie ihre Opfer ausweidet, wenn sie von Marinette besessen ist.«
»Woher weißt du so viel über sie?«, fragte ich.
Pas rollte Dalattos Körper zur Seite und wischte seine Hände an einer Decke ab. Auf seiner Stirn hatten sich feine Schweißperlen gebildet.
»Wir haben gemeinsam die Grenzen von Merika hinter uns gelassen, als während der Konformisten-Aufstände den Hohepriestern ihre Tätigkeit untersagt worden ist. Wir kamen als Flüchtlinge in dieses Land, und man brachte uns ins Lager von Jinberra. Sie hat dort Dinge getan, die… Nun ja, ich möchte lieber nicht darüber reden. Jedenfalls hat ihre Art einige Leute in Viva beeindruckt, die sie freigekauft haben.« Pas stieß einen Seufzer aus. »Sei dankbar für deine Freiheit, Oya, und dafür, dass du dir deine Freunde selber aussuchen kannst.«
Ich bekam eine Gänsehaut, obwohl es nicht kalt war: Tulu hatte Verbindungen zu Leuten in Viva, und man durfte mit Sicherheit annehmen, dass diese Leute nicht ohne Einfluss waren.
»Ich wusste nicht, dass du ein Immigrant bist«, sagte ich.
»In Merika gibt es nur noch eine Religion. Niemand traut sich, gegen das Glaubensdiktat des Weißen Schleiers aufzubegehren.«
Die Repression in Merika interessierte mich nicht. Die nördliche Hemisphäre hatte sich ihr eigenes Grab geschaufelt. Das einzige, was mir derzeit Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass jemand lustige, kleine Puppen von mir anfertigte und wahllos Menschen im Tert tötete.
»Also, wo steckt diese Tulu?«, verlangte ich zu wissen.
»Ich werde die Muenos nach ihr suchen lassen; aber es wird nicht einfach werden: Die meisten von uns fürchten Leesa Tulu.« Pas klammerte sich so krampfhaft an seine Borstenkette, dass er sich beinahe selbst strangulierte.
Die Muenos fürchteten sich vor jemandem?
Unwillkürlich setzte ich mich in Bewegung aus Angst, eine weitere Vision könnte mich überfallen. Welches Interesse konnte eine berüchtigte Hohepriesterin mit Verbindungen in Vivacity an den Karadji haben? Und was wollte diese Frau von mir?
Die Rätsel nahmen langsam Überhand; als Antwort auf eine Frage folgte immer nur eine weitere. Ich konnte an diesem Ort nicht klar denken… nicht frei atmen. Meine Kopfhaut juckte, als wären meine Haare von Läusen befallen. Ich ging in den Raum mit dem Altar zurück, schnappte mir die Puppen und steckte sie in meinen Rucksack. Dann ließ ich meiner Frustration freien Lauf und trat den Altar um.
»Oya!« Aufgeregt gestikulierend lief Pas auf mich zu. »Zerstöre die Opfergaben nicht!«
Aus einem unerklärlichen Grund verspürte ich das dringende Bedürfnis, ihm die Faust ins Gesicht zu rammen. Hatte Pas davon gewusst, dass seine alte Freundin Tulu hier kleine Voodoo-Särge für mich anfertigte? War seine Überraschung vielleicht nur gespielt? Konnte ich ihm überhaupt vertrauen, wenn Leesa Tulu ihn derart in Angst und Schrecken versetzte?
Nur mit Mühe konnte ich den Wunsch unterdrücken, ihn auf der Stelle zu töten. In meinem Inneren tobte ein Kampf, den ich beinahe plastisch vor meinen Augen sah.
Der Einfluss des Parasiten auf meine Gefühle vergrößerte sich mit jeder Minute.
»Boss?« Ich spürte einen festen Schlag auf meiner Schulter. »Boss!«
Das war Roos Stimme. Angstschweiß lief an seinen Schläfen hinunter, als ich in sein Gesicht sah. Was bestürzte ihn dermaßen?
»Was ist denn los, Junge?«, fragte ich gelassen.
Er sah an mir herunter.
Als ich seinem Blick folgte, fielen meine Augen auf meine Hände: Meine linke hielt meine rechte Hand zurück, die krampfhaft einen der Würgedrähte festhielt. Das Metall schnitt in mein Fleisch, und das Blut tropfte aus meiner Faust.
Meine Muskeln waren völlig verhärtet.
Meine Kiefer pressten sich starr aufeinander.
Ich stand reglos im Raum.
Pas war vor mir zurückgewichen und kauerte nun in einer Ecke des Raumes, krampfhaft darum bemüht, nicht in Panik auszubrechen.
Wie lange befand ich mich schon in diesem Zustand?
Ich konzentrierte mich wieder auf meine Hände, und endlich gelang es mir, meinen Griff zu lösen. Minna erschien wie aus dem Nichts und verband meine rechte Hand mit einem Tuch.
»Danke, dass du meinen Mann verschont hast«, flüsterte sie ehrfürchtig.
Nun wurde mir erst bewusst, was in den vergangenen Minuten geschehen sein musste. Offenbar hatte
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