Parrish Plessis 02 - Code Noir
Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen; ich nahm mir vor, die Schlange so bald wie möglich wieder freizulassen.
Als ich mich umsah, stellte ich fest, dass ich mich an einem Verteilerpunkt befand; von hier aus bogen Verbindungstunnel in alle Richtungen ab. Ich wählte einen, der mich nach Süden führte und achtete auf meinem weiteren Weg darauf, nicht noch mehr schlafende Raubtiere aufzuwecken.
Ich marschierte über die Dachböden von zwanzig Villen, bevor ich mich wieder auf die Straße hinunter traute, und selbst dann verharrte ich noch einen langen Augenblick über der Dachluke, die nach unten führte. Die Situation erinnerte mich an mein letztes Abenteuer auf den Dächern der Villen: Stolowski und ich waren in das Wohnzimmer einer Mueno-Villa hineingeplatzt. Obwohl sie mich damals noch nicht für ihre Oya gehalten hatten, hatte mein Auftritt sie ziemlich beeindruckt. Und wenn mich mein Gefühl nicht betrogen hatte, dann war es genau jener Moment gewesen, in dem ich mich mit dem Parasiten infiziert hatte. Ich war mit menschlichem Blut in Berührung gekommen, das die Muenos für ein Ritual benutzt hatten – das sollte mich lehren, jemals wieder so unvorsichtig zu sein!
Blut! Ein mächtiges Verlangen überfiel mich und raubte mir den Atem. Ich versuchte, das Gefühl in Wut und Selbstmitleid umzuwandeln.
Was hatte ich an einem Ort wie diesem überhaupt zu suchen? Warum jagte ich Leesa Tulu hinterher?
Die Intrigen, die mein Leben beherrschten, bereiteten mir allmählich ernsthaftes Kopfzerbrechen. Jeder zerrte an mir herum, und jeder wollte mich auf irgendeine Art und Weise für seine Sache benutzen: Daac wollte die Eskaalim manipulieren; für die Cabal sollte ich die Karadji wieder finden; die Muenos suchten in mir ihre Göttin, und Teece wollte eine Frau, die Zuhause blieb und ihm bei seinen Schwarzmarkt-Geschäften half.
Doch welche Ziele verfolgte ich selbst?
Ich wollte nur überleben.
Und ich wollte, dass Daac überlebte – und das genau in dieser Reihenfolge. Ich sorgte mich um Daac, und genau dafür hasste ich mich.
All diese Dinge würde ich jedoch nur erreichen können, wenn ich nach vorne schaute; es hatte keinen Sinn, in Selbstzweifeln zu versinken.
Ich atmete tief durch und öffnete die Dachluke. Der Raum darunter war leer.
Draußen, auf der Straße, überprüfte ich den Kompass und blickte zum Himmel hinauf. Die Sonne stand bereits hoch am Firmament. Ihre Strahlen schienen mir wesentlich kräftiger zu sein als an den Tagen zuvor; der Frühling hatte nun endgültig den Winter vertrieben. Mit neuer Entschlossenheit machte ich mich auf den Rückweg. Es waren nur noch wenige Tage bis zur King Tide, und ich hatte es nicht geschafft, den Karadji einen entscheidenden Schritt näher zu kommen.
Ich erkannte den Villenblock wieder, als ich um die Ecke bog. Das Neonschild mit der Aufschrift ›Saupere Petten und Kliemahanlage‹ hing noch immer an seinem Platz. Endlich hatte ich das Hotel erreicht. Das Quad war verschwunden und mit ihm die Armee junger Söldner.
Völlig außer Atmen von dem langen Marsch setzte ich den Rucksack ab und hockte mich neben ihn. Was sollte ich als nächstes tun? Außer dem Verlangen nach Schlaf und einer warmen Mahlzeit kam mir nichts in den Sinn.
Ich bemerkte seine flinken Hände erst, als sich mein Rucksack bewegte. Ich wirbelte herum und sah ins Gesicht eines kleinen Gauners, das mit einem blutigen, blumenkohlartigen Nesselausschlag übersäht war. Der Python hatte sich bereits fest um seinen Hals geschnürt. Ich konnte das Genick der Schlange gerade noch rechtzeitig packen, bevor sie zubeißen konnte.
»Nimm deine Finger von meinen Klamotten, oder ich lasse meinen kleinen Freund wieder los«, warnte ich den Mann.
Der Gauner schüttelte abwehrend die Hände.
»Was willst du von mir?«, fragte ich grimmig.
Kleinkriminelle interessierten mich normalerweise nicht sonderlich; sie suchten in der Regel nur Essen oder Drogen. Einigen von ihnen machte das Stehlen aber auch einfach nur Spaß.
Dem Mann, der vor mir kniete, fielen dünne, weiche Haare ins Gesicht, die seine blutigen Male aber nicht verbergen konnten.
»Bissu-mitt’em-Quad-hergekommen?«, fragte er mit einem gedehntem, kaum verständlichen Akzent. »Du-muss-von-anderswo-komm’n. Sprisch’s-so-seltsaaam-langsaaam.«
Der Kerl sprach schneller, als die Leute in billigen Werbespots. Als ich ihn näher betrachtete, erkannte ich ihn wieder.
»Du hast gestern Geschäfte mit meinem Freund gemacht.
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