Partials 1 – Aufbruch
doch dahinter spürte Kira echte Betroffenheit. Sie kannte
ihn gut genug, um seine Worte deuten zu können. »Ich mache nur Witze, Kira.
Aber mal im Ernst – er ist ein Partial. Der größte Feind der Menschheit. Schon
vergessen?«
»Das versuche ich dir doch gerade zu erklären. Ich bin mir meiner
Sache gar nicht mehr so sicher.«
»Versucht er, dir das einzureden?« Marcus betrachtete Kira genauso,
wie es die Senatoren getan hatten. Als wäre sie schwachsinnig. »Er ist allein
und gefesselt, und deshalb tut er dir leid, aber er hat versucht, dich zu
töten. Nicht nur beim Zusammenbruch, sondern erst letzte Woche in Manhattan. Er
hatte ein Gewehr. Er ist ein feindlicher Soldat und ein Kriegsgefangener. Wer
weiß, was er dir und der ganzen Stadt antäte, könnte er sich von den Fesseln
befreien.«
»Ich weiß«, antwortete Kira. »Ich weiß. Aber du hast nicht mit ihm
geredet. Er spricht nicht wie ein Monster. Er fühlt sich auch nicht an wie ein
Monster.«
»Vor zwei Tagen war er ein Untersuchungsobjekt«, führte Marcus an.
»Ein Experiment. Noch einmal zwei Tage davor war er ein gesichtsloser Feind,
den du töten und verstümmeln wolltest, um ihn zu erforschen. Was mag er in zwei
weiteren Tagen sein? Ein Freund?«
»Das habe ich nicht behauptet.«
»In drei Tagen ist er tot. Kira, wir kennen uns schon ewig, und ich
sehe bereits, wohin das führt. Erst tut er dir leid, du entwickelst Mitgefühl
und magst ihn, und wenn er stirbt, bricht es dir das Herz, weil du glaubst, du
müsstest ihn retten. Es ist wie mit den Neugeborenen – du fühlst dich für jedes
sterbende Kind persönlich verantwortlich. Der Partial ist nur ein
Versuchsobjekt und klug genug, um dir genau das zu erzählen, was du hören
möchtest. Ich sage ja nur, dass du dich nicht zu sehr an ihn binden solltest.«
»Ich soll mich nicht binden?« Kiras Zorn erwachte von Neuem. »Was denkst
du denn, wie gebunden wir sind?«
»Halt, halt – so meinte ich das doch gar nicht.«
»Wirklich nicht?«, gab Kira empört zurück. »Es klang ganz so, als
wolltest du mir etwas vorwerfen.«
»Ich werfe dir überhaupt nichts vor. Ich warne dich nur …«
»Du warnst mich?«
»Das habe ich ungeschickt ausgedrückt.«
»Wovor warnst du mich?«, fragte Kira. »Warnst du mich davor, Freunde
zu haben, die dir nicht gefallen?«
»Ich warne dich vor dir selbst«, erwiderte Marcus. »Du weißt doch,
dass du dazu neigst, dich in gewaltigen Träumen zu verlieren und von ihnen
zerschmettert zu werden, wenn sie über dir zusammenbrechen. Du warst nicht
zufrieden damit, den Babys zu helfen, du willst RM heilen. Du willst den Partial nicht nur untersuchen, sondern – was eigentlich?
Frieden mit ihm und seinen Artgenossen schließen? Hat Samm das vorgeschlagen?«
»Nein, natürlich nicht.« Doch während sie sprach, war sie ihrer
Sache nicht mehr sicher. »Ich meine nur, dass an ihnen mehr dran ist, als irgendjemand
vermutet, ganz egal, was Samm mir erzählt. Sie haben sich aufgelehnt, weil die
Menschen sie unterdrückt haben. Wenn wir freundlich miteinander umgehen, könnte
es … vielleicht könnte es beim nächsten Mal funktionieren. Ich weiß auch nicht …« Sie hatte Mühe, ihre Gedanken zu ordnen. »Ich sage ja nicht, dass wir unsere
Verteidigungsmaßnahmen aufgeben und alles vergessen sollen, was passiert ist,
aber es könnte sein, dass sie uns gar nichts mehr antun wollen. Und wenn sie
den Schlüssel für die Heilung von RM haben, ist der
Friede vielleicht unsere einzige Chance.« Nervös blickte sie zu Marcus hinüber
und betete, er möge sie verstehen.
»Sie haben sich aufgelehnt und uns getötet«, wiederholte Marcus.
»Die amerikanischen Kolonien haben sich vor fast dreihundert Jahren
gegen England aufgelehnt«, hielt Kira dagegen. »Die Länder überwanden ihre Differenzen
und waren danach die besten Freunde.«
»Amerika hat kein Virus freigesetzt, das die ganze Welt zerstört
hat.«
»Vielleicht haben die Partials das auch nicht getan«, wandte Kira
ein. »Vielleicht wissen wir über den Krieg noch längst nicht alles. Wir reden
dauernd darüber, was sie uns angetan haben, aber vielleicht ist es nicht ganz
so einfach. Wenn Samm die Wahrheit sagt …«
»Also hängt alles von Samm ab, ja?« Marcus schüttelte den Kopf.
»Was soll das, Marcus?« Sie sah ihn offen an. »Bist du eifersüchtig?
Ich liebe dich.« Sie hielt seinem Blick stand. »Bitte versuch doch zu verstehen,
was ich dir sage!«
»Liebst du mich wirklich?«
»Aber
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