Partials 1 – Aufbruch
natürlich.«
»Dann heirate mich!«
Kira riss die Augen auf. In dieser Situation und an diesem Ort hatte
sie alles andere erwartet als einen Antrag. »Ich …«
»Wir sind noch jung«, fuhr er fort, »aber nicht zu jung. Du kannst
bei mir wohnen. Ich habe für dich ein großes Haus ausgesucht. Für uns. Wir
können dort alt werden, und wenn du eine Therapie für RM findest, können wir auch Kinder haben. Aber wir müssen nicht warten. Wir können
jetzt schon zusammen sein.«
Kira sah ihn an und stellte sich sein Gesicht neben sich vor – am
Abend, wenn sie einschlief, und am Morgen, wenn sie erwachte, immer und bei
allem an ihrer Seite. Das hatte sie schon immer gewollt, seit sie beide
gemeinsam auf dem Schuldach die Sterne betrachtet hatten.
Aber so einfach war es nicht mehr.
Sie schüttelte den Kopf, so langsam, dass sie die Bewegung selbst
kaum spürte, und hoffte, Marcus sähe es nicht. »Es tut mir leid, Marcus, ich
kann nicht.«
Er ließ sich nichts anmerken, und es gelang ihm fast – aber nicht
gänzlich –, seine Gefühle zu verbergen. »Jetzt nicht oder gar nicht?«
Sie dachte an die Neugeborenen und RM ,
an den Krieg und die Partials, an ihre Arbeit im Labor und an Samms Worte. RM zu heilen, sei nicht genug, hatte er gesagt. War der
Friede der nächste Schritt? War er überhaupt erreichbar? Es gab zu viele Fragen
und zu viele Schatten, um klar zu sehen. Sie schüttelte den Kopf. »Nicht jetzt.
Was das Nie angeht, so werde ich es erst wissen, wenn
ich dort bin.«
»Na gut.« Er schwieg, nickte schließlich und hob die Schultern. »Na
gut.« Er nahm es viel zu gelassen auf, so als hätte er damit gerechnet.
Das war das Schlimmste.
22
Kira hatte die Abbildungen des Scanners erst zu zwei
Dritteln durchgesehen, als ihr alles vor den Augen verschwamm. Sie wollte
herausfinden, wie das Pheromonsystem funktionierte, musste aber einsehen, dass
sie in diesem Bereich – was RM betraf – keine
Fortschritte erzielte. Irgendwann konnte sie kaum noch die Augen offen halten
und beschloss, es für diese Nacht gut sein zu lassen. Ich will aber nicht nach
Hause, dachte sie. Ich brauche eine Matratze, auf der ich hier schlafen kann.
Außerdem fehlten ihr Helfer. Allein konnte sie unmöglich alle Daten durchsehen,
die bei der Untersuchung anfielen, und herausfinden, was sie wissen musste.
Samm war noch wach – schlief er überhaupt jemals? –, hatte aber seit ihrer
Rückkehr vom Abendessen nichts mehr gesagt. Sie wollte mit ihm reden, wusste
aber nicht, wie sie es anfangen sollte.
Die Wächter, die nachts aufpassten, waren härter als die Männer der
Tagschicht. Shaylon und sein Kamerad waren fort, jetzt standen dort zwei ältere
Soldaten mit wettergegerbten Gesichtern und blickten grimmig vor sich hin. Sie
blieb kurz bei ihnen stehen und fragte sich, ob sie Samm in der Nacht wieder verhören , ob sie ihn schlagen, stechen oder sich andere
kranke Quälereien ausdenken würden. Sie wollte ihnen sagen, dass sie es sein lassen
sollten, aber was hätte das genutzt? Der Gedanke stimmte sie traurig. So warf
sie den Soldaten, in deren Augen sie beinahe schon den Spott entdeckte, einen
letzten Blick zu und schlurfte mit hängendem Kopf den Flur entlang.
Draußen blieb sie kurz stehen und atmete tief die Nachtluft ein. Es
war wärmer geworden. Sie ging los und bemerkte im Mondschein auf einmal eine
Bewegung. Zuerst dachte sie, die Stimme wolle das
Krankenhaus stürmen, um Samm zu holen, doch dann hörte sie jemanden rufen. Es
war Haru, und was er sagte, klang verzweifelt.
»Schon gut!«, stieß er hervor. »Wir haben es fast geschafft, nur die
Ruhe.«
Kira eilte ihm ein paar Schritte entgegen und bemühte sich, noch
mehr aufzuschnappen. War es wirklich Haru? Der Schatten wurde länger, und dann
konnte sie die Stimme eindeutig zuordnen. Ja, er war es, und Madison war bei
ihm. Sie atmete in kurzen, schmerzvollen Stößen.
Kira sank das Herz, doch sie war sofort bereit zu helfen. »Mads!«
Madison knirschte vor Schmerzen mit den Zähnen. Sie hatte Harus Hand
so fest gepackt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sanft, aber entschlossen
drängte er sie weiter. Als Kira zu ihnen stieß, hatten sie schon fast den
Parkplatz vor der Klinik erreicht.
»Sie blutet«, berichtete er aufgeregt. »So schlimme Schmerzen hatte
sie bisher noch nie.«
Kira blickte zum Krankenhaus hinüber, nahm Madisons anderen Arm und
half ihr so behutsam wie möglich weiter. »Du hättest sie nicht herbringen
dürfen«, warf sie ihm vor.
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