Partials 1 – Aufbruch
jungen Bock oder lass dich
künstlich befruchten«, riet Kira. »Diese Möglichkeiten stehen dir offen, und
das weißt du auch. Es geht nicht um Sex, sondern ums Überleben.«
»Massenhafte Schwangerschaften sind die denkbar schlechteste Lösung
für das Problem«, widersprach Xochi.
»Also gut.« Isolde sprach bereits ein wenig leiernd. »Wir sollten
uns erst mal alle abregen. Niemand ist glücklich darüber …«
»Mit Ausnahme von Kira, wie mir scheint«, wandte Xochi ein. »Aber sie
hat ja einen Freund, also passt das schon. Wahrscheinlich treibt sie es sowieso
schon mit ihm …«
Mit einem Schrei sprang Kira auf und wollte Xochi blind vor Wut an
die Kehle gehen, doch Isolde schob sich dazwischen, wobei sie vor Trunkenheit über
die eigenen Füße stolperte. Sie verlor das Gleichgewicht, klammerte sich aber
so fest an Kira, dass diese nicht mehr an ihr vorbei zu Xochi gelangen konnte.
Kira sträubte sich und stieß Isolde von sich. Dabei kratzte sie ihr mit dem
Fingernagel über die Stirn. Isolde stieß einen kleinen Schmerzensschrei aus.
Kiras Wut verflog, und sie weinte.
»Verdammt!«, keuchte Xochi.
»Komm, setz dich!« Isolde führte Kira zum Sofa und nahm neben ihr
Platz. Kira schluchzte, und Isolde wiegte sie in den Armen. Sie warf Xochi
einen scharfen Blick zu. »Das war wirklich daneben.«
»Tut mir leid.« Xochi setzte sich wieder. »Es tut mir leid, Kira. Du
weißt doch, dass ich es nicht so gemeint habe. Ich werde nur verrückt. Diese
ganze Sache geht zu weit.«
»Es ist geschehen«, sagte Isolde. »Das Gesetz ist verabschiedet.
Jetzt können wir nur noch darüber jammern oder uns besaufen, bis uns alles egal
ist.«
»Du hattest sowieso schon zu viel.« Xochi stand auf und nahm Isolde
die Flasche weg. Isolde hielt nicht richtig fest, nachdem das Gerangel mit Kira
ihre ganze Kraft verbraucht hatte. Xochi stieß nicht auf Gegenwehr, öffnete das
Fenster und warf die Flasche hinaus.
»Hallo, Xochi!«, rief jemand von draußen herein. Es war einer der
Jungen, die in der Nähe wohnten. Kira kannte ihn nicht näher. »Dieses Zukunftsgesetz
ist verrückt, was? Wollt ihr darüber reden? Sollen wir reinkommen?«
»Fahrt zur Hölle!« Xochi knallte das Fenster zu.
»Das war meine Flasche«, nuschelte Isolde. Niemand beachtete sie.
»Es tut mir leid, Xochi.« Kira richtete sich auf und rieb sich mit
dem Handrücken die Augen trocken. »Ich bin nicht böse auf dich, ich bin böse
auf … auf so ziemlich alles in der Welt. Aber die Welt hat kein Gesicht, also
musste deins herhalten.«
Xochi schnitt eine Grimasse, dann wurde sie traurig. »Ich bin nicht
bereit dazu«, sagte sie leise. »Keine von uns ist bereit.«
Isolde fuhr mit dem Finger das Muster des Sofas nach. »Haru hatte
recht mit seiner Aussage während der Anhörung des Senats. Wir haben keine
Kinder mehr, sondern nur noch Erwachsene, die nicht im Geringsten wissen, was
sie tun.«
Die jungen Frauen saßen schweigend im Zimmer und hingen ihren
Gedanken nach. Kira dachte an Marcus. Sie hatte seinen Antrag abgelehnt, und
nun stellte die Regierung alles auf den Kopf. Eine Toleranz von zwei Monaten,
um in die Gänge zu kommen, und dann konnte sie verhaftet werden, wenn sie nicht
schwanger wurde. Wenn sie schon Kinder haben musste, dann sollten es Marcus’
Kinder sein. Sie hatte nie ernsthaft über einen anderen Mann nachgedacht. Aber
wenn sie ihm das jetzt sagte, dann dachte er sicher, es gehe nur um das Gesetz
und nicht um ihn. Das konnte sie ihm nicht antun. Natürlich konnte sie auch
nicht zu einem anderen gehen, ohne Marcus noch mehr zu verletzen.
Außerdem wollte sie nicht schwanger werden. Nicht so. Wenn sie ein
neues Leben erschaffen sollte, dann wollte sie es aus freien Stücken tun und
nicht unter Zwang.
Gerade hatte sie Xochi angebrüllt, weil diese im Grunde das Gleiche
gesagt hatte. Sie wusste selbst nicht mehr, was sie denken sollte.
Einen Moment lang, einen ganz kleinen Moment lang, dachte sie an
Samm und fragte sich, ob ein Kind, das zur Hälfte von einem Partial abstammte,
immun wäre.
»Erinnert ihr euch an eure Mütter?«, fragte Isolde. »Nicht an die
neue Mutter, Xochi, sondern an die alte. Die richtige Mutter aus der Zeit vor
dem Virus.«
»Undeutlich«, antwortete Xochi. »Sie war groß.«
»Ist das alles?«
»Ich meine, sie war wirklich groß«, beharrte Xochi. »Auf jedem Bild,
das ich von ihr habe, überragt sie mich wie ein Turm, und das lag nicht daran,
dass ich so klein war. Sie war größer als alle
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