Partitur des Todes
nicht unterbrochen werden. Die Luftröhre des Tieres, seine Speiseröhre, die Halsschlagadern und die Vagus-Nerven müssen mit diesem einen Schnitt durchtrennt sein.»
«Und du meinst, dass der Tätersich mit dieserArt des Schlachtens auskennt. Dass er möglicherweise Moslem oder Jude ist?»
«Immerhin könnte es sein», sagte Thea Hollmann, machte aber sofort einen Rückzieher, als sie Marthalers skeptischen Blick sah. «Aber eigentlich wollte ich gar keine Schlüsse ziehen. Ich wollte dir nur mitteilen, was mir aufgefallen ist.»
«Okay,aber warum sollte der Täter uns einen Hinweis auf seine Religion geben? Damit hätte er eine Spur gelegt. Obwohl wir doch wissen, dass er alles vermeidet, was uns in seine Nähe bringen könnte.»
«Und was, wenn er das Gegenteil bezweckt hat? Wenn er eine falsche Spur legen wollte?»
«Das würde schon eher passen. Oder er wollte uns ein anderes Zeichen geben. Vielleicht wollte er uns auch einfach verhöhnen.»
«Es tut mir leid, Robert.Aber das ist alles, was ich bis jetzt sagen kann.Alles andere braucht Zeit. Dass ich mich beeilen soll, musst du nicht extra betonen. Wenn es sein muss, werde ich eine Nachtschicht einlegen.»
Marthaler überlegte einen Moment. Dann schüttelte er den Kopf. «Nein. Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst. Was auch immer du herausfindest, ich fürchte, wir werden es erst brauchen, wenn wir den Mann gefasst haben und ihn vor Gericht stellen können. Es sei denn, er hat seine Visitenkarte unter Eva Helbergers Pyjama versteckt.»
«Na, vielen Dank. Damit hast du auf charmante Weise umschrieben, dass ich meineArbeit zwar tun muss, dass sie aber eigentlich überflüssig ist.»
Marthaler winkte ab. «Willst du auch einen Schnaps?», fragte er.
Sie gingen ins Wohnzimmer, woKerstin Henschel die Ginflasche auf dem Tisch hatte stehen lassen.
Stummnahmen sie die Gläser und kippten den Inhalt hinunter.
«Wie läuft es mit Füchsel?», fragte Marthaler.
Er kannte Thea Hollmanns Lebensgefährten, der seinen Spitznamen wegen seinesrotbraunen Haars erhalten hatte. Er arbeitete als Hausmeister im Zentrum der Rechtsmedizin. Und Marthaler war es gewesen, der Thea Hollmann an jenemAbend darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sie unter ihren Kollegen einen Verehrer hatte.
«Avec Füchsel? Très bien. Vomersten Tag an, und immer so weiter. Er ist die Sonne meines Lebens.Auch wenn es immer noch Kollegen gibt, die es unpassendfinden, dass eine Medizinerin mit einem Handwerker zusammenlebt.»
«Auf die ist gepfiffen», sagte Marthaler. «Auf jeden Fall grüß ihn von mir.»
«Das wird ihn freuen. Wer weiß, ob wir ohne dich zusammen wären. Wahrscheinlich würde ich abends immer noch alleine vor meinen Videofilmen sitzen und zu viel Rotwein trinken.»
«Und was macht ihr stattdessen?», fragte Marthaler.
«Das, Herr Kommissar, ist eine Frage, auf die ich nicht einmal vor Gericht antworten würde.»
Zweiunddreißig
«Die Franzosen machen Druck», sagte Charlotte von Wangenheim, als sie eine halbe Stunde später erneut im Besprechungsraum des Weißen Hauses zusammensaßen. «Sie mutmaßen, dass wir bei unserer Jagd auf den Mörder die Suche nach der entführten Journalistin vernachlässigen. Und ich fürchte, sie haben nicht ganz unrecht.»
«Haben sie doch», widersprach Marthaler. «Ich war gerade in der Telefonzentrale.Auch nach der Veröffentlichung ihres Fotos gibt es keine Hinweise über den Verbleib der Frau. Niemand hat sie nach Donnerstagabend gesehen. Wir haben keinerleiAnhaltspunkte, wo wir sie suchen sollen. Es gibt nur einen Weg, der zu Valerie Rochard führt: Wir müssen den Mörder finden. Der Mörder ist auch ihr Entführer.»
Marthaler sah in Charlotte von Wangenheims Gesicht. Ihr Blick war leer. Sie war blass und wirkte müde. Wahrscheinlich hatte auch sie zu viel gearbeitet. Zum ersten Mal in diesen Tagen hatte Marthaler den Eindruck, dass sie ratlos war.
«Gut»,sagte sie. «Wenn es nurso geht, dann geht es nur so.Aber gebt mir irgendwas. Irgendeine Erkenntnis, wer dieser Täter sein könnte. Eine Version, die ich weitergeben kann. Oder die wenigstens geeignet ist, meine eigenen Nerven zu beruhigen.»
Die Ermittler schauten sich ratlos an. Es gab wenig, was sie ihrer neuen Chefin mitteilen konnten.Auch nach dem Mord an Eva Helberger waren sie auf Spekulationen angewiesen. Marthaler versuchte zu verstehen, in welcher Situation sich Charlotte von Wangenheim befand. Sie stand zwischen den Fronten. Sie hielt ihnen die Presse vom
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