Partitur des Todes
ihrer neuen Häuser genutzt.
Marthaler stieg aus und schloss den Wagen ab.Als er die Straße hinauflief, kamen ihm ein Mann und eine Frau entgegen. Sie hatten Wanderschuhe an und trugen Rucksäcke.Als sie an ihm vorbeikamen, grüßten sie mit einem Nicken.
Vor einem der Häuser saß ein Junge auf seinem Plastikauto und weinte. Dann wurde eine Gardine beiseitegeschoben und das Fenstergeöffnet. Eine Frau erschien und rief den Kleinen zumAbendbrot. Der Junge schaute Marthaler an, dann stand er auf und rannte zur offenen Haustür.
Marthaler wandte sich nach links und stieg eine steile Hangstraße hinauf.Als ihmzwischen den Häusern langsam ein Auto entgegenkam, machte er die Fahrbahn frei. Neugierig beugte der Fahrer seinen Kopf, um den Fremden zu beäugen.
Als Marthaler das Ende der Bebauung schon fast erreicht hatte, sah er auf der rechten Seite ein langgestrecktes Wohnhaus. Der weiße Putz des oberen Stockwerks leuchtete hell in derAbendsonne. Das Haus war in die Böschung gebaut, und jetzt fiel dem Kriminalpolizisten auf, dass das Untergeschoss mit Bruchstein verkleidet war.An einer Stelle war die Steinverblendung herausgebrochen und gab den kahlen Beton eines Kellerbunkers frei.
Marthaler ging ein paar Meter weiter und sah das offene Tor einer Doppelgarage.
Darin stand ein Wohnmobil.
Es war der blaue VW California, den Oliver Frantisek drei Tage vorher in Köln gemietet hatte. Marthaler lief um das Haus herum. Ein schmaler öffentlicher Weg führte am Waldrand den Hang hinauf. Der Garten wurde durch einen Jägerzaun begrenzt, hinter dem eine dichte Thujahecke keinen Blick auf das Grundstück zuließ.
Marthaler überlegte fieberhaft. Er musste davon ausgehen, dass man Valerie Rochard in dem Gebäude gefangen hielt.Alles, was er jetzt entschied, durfte nurein Ziel haben: die Journalistin möglichst unbeschadet zu befreien. Er konnte versuchen, sich Zutritt zum Inneren des Hauses zuverschaffen, aber wenn man ihn überraschte, säße er in der Falle. JederAlleingang verbot sich von selbst.
Er musste Hilfe holen.
Er würde versuchen, die Gegebenheiten, so gut es ging, zu erkunden, dann würde er Charlotte von Wangenheim anrufen und das SEK anfordern. In einer halben Stunde konnten die Männer hier sein. Je mehr Informationen er ihnen geben konnte, desto größer war ihre Chance.
Er kletterte über den Zaun und schob sich durch zwei der Koniferen hindurch. Er stand vor einem kleinen, fensterlosenAnbau, der sich im rechten Winkel andas Haupthaus fügte.
Marthaler drückte sich dicht an die grobverputzteAußenmauer und schob sich Meter für Meter voran. Er spürte, wie ein Schweißtropfen über seinen Rücken lief. Er griff unter sein Jackett und zog seine Pistole aus dem Holster.
Noch ein Schritt, dann hatte er die Ecke des Anbaus erreicht.
Er schaute auf eine Terrasse. Dort standen zwei leere Korbsessel und ein Tisch, auf dem eine Zeitung und eine Brille lagen. Die Tür zum Haus stand offen.
Marthaler wagte nicht zu atmen. Er hatte genug gesehen. Schnell zog er seinen Kopf zurück und wandte sich um. Er würde seinen Rückzug auf demselben Weg antreten, auf dem er gekommen war.
Dann hörte er hinter sich ein Geräusch.
«Treten Sie doch näher!», sagte eine leise Stimme.
Marthaler fuhr herum. Der Schreck war ihm bis in die Haarspitzen gedrungen. Er hielt den Lauf seiner Pistole auf den Kopf des altenMannes gerichtet, der jetzt in der offenen Terrassentür stand.
«Ich war gerade dabei, mir einen Tee zu machen. Darf ich Sie zu einer Tasse einladen?»
«Nehmen Sie die Hände hoch, Herr Niehoff!» Marthalers Stimme zitterte.
Der Mann schaute ihn für einige Sekunden mit nachdenklicher Miene an. Dann zeigte sich ein kleines Lächeln auf seinen Lippen.
«Doktor Niehoff. Nennen Sie mich bitte Doktor. So viel Respekt darf ich erwarten.Aber warum sollte ich wohl die Hände hochnehmen?»
«Wo ist Valerie Rochard? Wer ist sonst noch im Haus?»,herrschte Marthaler ihn an.
Niehoff machte einen Schritt in Marthalers Richtung.
«Bleiben Sie, wo Sie sind, und nehmen Sie verdammt nochmal die Hände hoch.»
DerAlte schüttelte den Kopf, als habe er es bei seinem Gegenüber mit einem begriffsstutzigen Kind zu tun.«Dass ich keineAngst habe, das ist das Erste, was Sie lernen müssen, wenn wir uns unterhalten wollen.»
Er ging auf einen der Korbstühle zu und setzte sich. Dann zeigte er mit der Hand auf den freien Stuhl. «Bitte schön», sagte er, «nehmen Sie Platz.»
Marthaler bewegte sich nicht von der
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