Partitur des Todes
befindet?»
Der Uniformierte schüttelte den Kopf. «Ich weiß nix, ich soll hier nur dicht machen.»
Über ihnen flog ein Polizeihubschrauber Richtung Westen. Dann sah Marthaler einen zweiten Eurocopter, der sich von Süden her näherte. Kurz darauf kreisten beide über den Wolkenkratzern des Bahnhofsviertels.
«Ich brauche einen Wagen. Sofort!», herrschte er den Schutzpolizisten an.
Der Mann schaute ihn an, als habe er nicht verstanden.
«Das ist ein Befehl!», schrie Marthaler.
Ein anderer Uniformierter schaute über das Dach eines Streifenwagens zu ihnen herüber. Er hatte Marthaler erkannt und gab ihm einZeichen, zu ihm in den Wagen zu steigen.
«Bring mich zum Bahnhof. So schnell es geht! Dann sehen wir weiter!»
Während sie mit hoher Geschwindigkeit über die Berliner Straße fuhren, meldete sich Marthalers Mobiltelefon. Es war Sven Liebmann. «Robert, wo bist du? Wir haben ihn. Du musst sofort herkommen.»
«Wo seid ihr, verdammt nochmal?»
«Kennst du das Yuan Fa? Ein großerAsia-Markt auf derKaiserstraße.»
«Ja, natürlich, das Paradies.»
«Was?», fragte Liebmann.
«Sabato nennt den Laden das Paradies. Weil man dort alles bekommt. Egal. Ich bin in drei Minuten da.» Um 19.43Uhrkamen sie vor demYuan Fa an. Gleichzeitig hielten zwei weitere Streifenwagen und der Kleinbus eines Überfallkommandos vor dem Haus. Einige Polizisten waren bereits dabei, die Straße abzusperren und die Menge der neugierigen Passanten, die sich binnen weniger Minuten versammelt hatte, zurückzudrängen.
Der Laden befand sich im Erdgeschoss eines der großen Bürgerhäuser, die zu beiden Seiten die einstige Prachtstraße säumten. Inzwischen sah dieser Teil des Viertels aus, als könne er sich nicht entscheiden, ob er sich mehr der glatten Welt der Banken zugehörig fühlte oder dem künstlich-bunten Glitzer der Bordelle, Clubs und Fastfood-Restaurants. Immer mal wieder wurde eines der heruntergekommenen Häuser saniert und teuer vermietet, bevor der Bodensatz des Quartiers es sich wenige Jahre später wieder einverleibte.
Marthaler sah den blauen California, der mit offenen Türen eingekeilt zwischen einigen Einsatzfahrzeugen stand.
Vor dem Haus befanden sich bereits etwa dreißig Polizisten, einige in Zivil, die meisten uniformiert. Und kaum einer, der nichtseine Dienstwaffe gezogen hatte. Niemand schien zu wissen, was als Erstes zu tun war. Sven Liebmann versuchte, sich Gehör zu verschaffen und Ordnung in das Durcheinander zu bringen.
«Geht verdammt nochmal vom Eingang weg!», rief er. «Wer nicht zur SoKo gehört, beteiligt sich an der Sicherung der Umgebung. Der ganze Block muss umstellt werden. Elbestraße, Weserstraße und Münchner Straße werden hermetisch abgeriegelt. Ich sagte: hermetisch. Versucht, in die umliegenden Häuser zu kommen. Überprüft, ob es einen Hinterhof gibt. Ich möchte umgehend einen Überblick über die örtlichen Gegebenheiten bekommen.Achtet auf mögliche Fluchtwege: Keller, Hintertüren, Dächer, Kanaldeckel. Lasst nichts aus den Augen. Der Mann hat sieben Leute umgebracht. Er ist bewaffnet. Und er hat eine Geisel.Also passt auf euch auf!»
Liebmann ließ die Arme sinken. Seine Lippen waren schmal und blutleer. Er sah zu Marthaler hinüber und gab ihm Zeichen. Dann wandte er sich noch einmal an die umstehenden Leute: «Direkte Augenzeugen, egal ob Beamte oder Passanten, gehen bitte dort rüber zu meinen Kollegen und machen ihre Aussage. Nach dort bitte, zu der Dame mit dem Pferdeschwanz und dem Herrn mit den Sommersprossen.»
«Ich nehm die mit dem Pferdeschwanz», rief ein junger Mann und schaute unsicher grinsend in die Runde.
«Witzbolde, die nichts gesehen haben und sich trotzdemmelden, werden sofort verhaftet», erwiderte Liebmann.
Kerstin Henschel und Kai Döring saßen unter dem Sonnenschirm eines angrenzenden Restaurants, das auf dem breiten Bürgersteig seine Tische und Bänkeaufgestellt hatte. Ihnen gegenüber hatten zwei alteAsiatinnen Platz genommen, die sie bereits befragten.
«Los! Berichte!», sagte Marthaler, als Liebmann endlich auf ihn zukam.
«Er ist da drin. Wie viele Leute er in seiner Gewalt hat, wissen wir noch nicht. Zehn bis fünfzehn werden es wohl sein – sowohl Kunden als auch Angestellte. Er hat den Besitzer gezwungen, die Eingangstür von innen zu verschließen. Er hat einmal geschossen. Wahrscheinlich nur ein Warnschuss, umsich Respekt zu verschaffen. Dann hat er alle in den hinteren Teil des Ladens getrieben. Der Verkaufsraum ist ein
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