Partitur des Todes
daran sind, dass die einen solchen Mist zusammenschreiben? Dass ich daran schuld bin?»
«Ob es uns passt oder nicht, die Hälfte unsererArbeit ist Öffentlichkeitsarbeit. Wir müssen steuern, was und wie über uns berichtet wird. Wir müssen darauf achten, dass die Medien uns gewogen sind.Andernfalls haben wir sie auf dem Hals.»
«Für all das haben wir im Präsidium eine eigene großeAbteilung. Das ist nicht unser Job.»
«Aber die Redakteure wollen keine vorgedruckten Erklärungen, die ihnen unsere Presseabteilung gibt. Sie wollen Frontberichterstattung. Sie wollen uns. Sie wollen Leute wie Oliver Frantisek.»
Marthaler schaute sich um. Ihmgegenüber saßen die beiden Kollegen aus Nordhessen– Kurt Delius und Horst Becker. Sie wirkten beide nervös. Man merkte ihnen an, dass ihnen dieArbeit hier noch fremd war. Sie hatten rote Gesichter und rutschten auf den Stuhlflächen hin und her. Obwohl sie beiihrer Vorstellung extra betont hatten,dass sie keine Zwillinge waren, bewegten sie sich nahezu synchron. Links von Marthaler hatten Sven Liebmann und Kai Döring Platz genommen. Zu seiner Rechten saß Kerstin Henschel und neben ihr Oliver Frantisek – auf dem Stuhl, den normalerweise Manfred Petersen benutzte.
Frantisek ruhte unbeweglich wie ein Berg auf seinem Platz. Ihm war nicht anzumerken, dass gerade über ihn gesprochen worden war. Ihm war gar nichts anzumerken; sein Gesicht wirkte vollkommen ausdruckslos. Marthaler fragte sich, ob dem Mann bewusst war, wie überheblich sein Schweigen wirkte.
«Wie auch immer», sagte Marthaler, «die heutige Pressekonferenz findet ohne uns statt. Lasst uns endlich anfangen. Ist inzwischen klar, wer die Leichen in Sultans Imbiss entdeckt hat?»
Döring winkte ab. «Ja, ein junger Gemüsehändler. Er hat am frühen Morgen in der Großmarkthalle eingekauft und wie jeden Tag die von Erkan Önal bestellten Waren zum Boot gebracht. Der Mann hat seine Kisten ausgeladen und gemerkt, dass die Tür zum Passagierraum nicht verschlossen war.Als erhineingeschaut und gesehen hat, was passiert ist, hat er die Eins-Eins-Null angerufen, dann ist er zusammengebrochen. Er steht noch immer unter Schock. Seine Frau ist Krankenschwester; sie betreut ihn. Ich habe die beiden zu Hause aufgesucht.»
«Wie sieht es aus mit seinemAlibi?»
«Der Mann geht früh ins Bett, weil er früh aufstehen muss. Er gibt an, dass er bereits gegen neun Uhr vor dem Fernseher eingeschlafen sei. Seine Frau bestätigt das. Natürlich ist das kein felsenfestesAlibi, aber… vergiss es, Robert. Der Mann hat die Toten entdeckt, sonst hat ernichts damitzu tun.»
«Gut, dann lasst uns jetzt zu den Opfern kommen. Über Erkan Önal haben wir schon gesprochen. Wenn er überlebt, wird es Tage, wenn nicht Wochen dauern, bis er vernehmungsfähig ist. Wir dürfen von ihm also keine Hilfe erwarten. Was ist mit den anderen? Hat sich jemand um das ältere Ehepaar gekümmert?»
Marthaler war aufgestanden. Ernahm ein Stück Kreide und schrieb den Namen des jungen Türken an die Tafel. Dahinter machte er ein Fragezeichen.
«Elfriede Waibling aus Dietzenbach», sagte Kerstin Henschel. «Sie lebte alleine in einer Dreizimmerwohnung in einem gepflegten Hochhaus in der Tulpenstraße. Ihr Mann war lange krank und ist vor sieben Jahren gestorben. Ich habe mit einigen Nachbarn gesprochen, die alle vollkommen geschockt waren, als sie erfuhren, dass die Frau unter den Opfern ist. Sie galt als freundlich, umgänglich, kontaktfreudig. Sie hat auf der Stadtverwaltung gearbeitet und bezog eine gute Pension. Sie war nicht wohlhabend, hatte aber ihr Auskommen.ie hinterlässt einen Sohn und eine Tochter, die beide verheiratet sind und ebenfalls in Dietzenbach wohnen. Mit derTochter habe ich geredet… na ja,wenn man es denn so nennen will. Die Frau war kaum in der Lage zu sprechen. Ich habe noch während unseres Gesprächs einenArzt kommen lassen, der ihr eine Beruhigungsspritze gegeben hat. Ich war zwei Stunden dort, herausbekommen habe ich trotzdem so gut wie nichts. Jedenfalls hatte die Tochter keineAhnung,wer der Mann war, mit dem Elfriede Waibling zusammen auf dem Boot war. Den Namen Franz Helmbrecht hatte sie nie gehört.»
«Gab es Feindschaften? Probleme? Konflikte? Irgendwelche alten Geschichten?», fragte Marthaler.
«Nichts.Absolut gar nichts. Sieht man mal davon ab, dass sie sich mit ihrem Schwiegersohn wohl nicht allzu gut verstanden hat. Ich werde dranbleiben, aber das Ganze wirkt ziemlich sauber.»
«Und was ist mit dem Sohn?
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