Partitur des Todes
war derjenige unter seinen Kollegen, mit dem er am längsten zusammenarbeitete und zu dem er im Laufe der Jahre das engste Verhältnis entwickelt hatte. Keiner kritisierte ihn so oft und so deutlich wie Sabato, zugleich gab es niemanden, auf dessen Urteil Marthaler größeren Wert legte.
Als die Erste Mordkommission vor Jahren vom neuen Polizeipräsidium ins Weiße Haus umgezogen war, hatte Sabato darauf bestanden, sein Domizil ebenfalls in die Günthersburgallee zu verlegen. Zusammen mit seinen Kollegen hatte er sich im Keller des alten Bürgerhauses sein Labor eingerichtet. Einerseits suchte er die Nähe zu den Ermittlern, andererseits lehnte er es immer wieder ab, mit den Einzelheiten eines Falles behelligt zu werden. Er wollte nicht wissen, von wem die Spuren stammten, die er untersuchte. «Ob das Blut vom Opfer oder vom Täter stammt, ist mir egal», hatte er einmal gesagt. Erst nach und nach hatte Marthaler begriffen, dass es sich dabei nicht um den Zynismus eines Naturwissenschaftlers handelte, sondern dass sich Sabato auf diese Weise seine Unabhängigkeit bewahrte. Nur so konnte sich der Kriminaltechniker ein Urteil bilden, das unbeeinflusst war davon, wen seine Kollegen für schuldig oder unschuldig hielten.
«Warum ist Elena nicht mit reingekommen?», fragte Marthaler.
«Zu viele Bullen», erwiderte Sabato. «Sie sagt, wenn so viele Polizisten zusammensitzen, werde sie nervös. Sie habe dann sofort das Gefühl, etwas ausgefressen zu haben. Aber sie lässt grüßen und fragt, wann du mit Tereza mal wieder zu uns in den Garten kommst. Ich soll dich nicht eher aus den Fängen lassen, bis du mir einen Termin genannt hast.»
Marthaler wiegte den Kopf. «Ja, nichts lieber als das.Aber lass uns diese Sache erst überstanden haben. Dann rufe ich Elena an. Versprochen!»
Sabato hob die Brauen und schaute Marthaler misstrauisch an. «Alles in Ordnung?», fragte er leise. «Mit Tereza und dir?»
«Was soll denn sein?», entgegnete Marthaler. «Hörst du wieder die Flöhe husten?»
«So ähnlich», sagte Sabato. Dann wandte er seinen Blick ab und fischte sich seine dritte Paprikawurst aus dem Schmortopf. Während sie aßen und tranken, sah Marthaler an die Tafel. Untereinander standen die Namen der Opfer und einiger Leute, die im Laufe des Tages bereits vernommen worden waren:
Erkan Önal, Frankfurt/Ehefrau
Elfriede Waibling, Dietzenbach/Tochter/Sohn?
Franz Helmbrecht, Goldstein (Sohn: Michael Helmbrecht!)
Gottfried Urban, Staatssekretär, Wiesbaden/Ehefrau
Susanne Melzer, seine Assistentin, Hofheim
Marthaler schaute auf die Uhr. Es war bereits kurz vor halb zehn. Doch obwohl sie alle müde und erschöpftwaren, war an Feierabend noch lange nicht zu denken. Die Liste war noch nicht vollständig, und es gab noch vieles, das sie bedenken mussten. Er drängte darauf, weiterzumachen.
«Kurt Becker und Horst Delius, was ist mit euch? Haben eure Befragungen etwas ergeben?»
Die beiden schauten sich an.
«Es ist umgekehrt.»
«Was ist umgekehrt?», fragte Marthaler.
«Ich heiße Kurt Delius.»
«Und ich Horst Becker.»
«Mist», sagte Marthaler. «Das wird mir noch öfter passieren. Es sind mir schon jetzt entschieden zu viele neue Namen, mit denen wir in diesem Fall zu tun haben.Also, was könnt ihr berichten?»
«Nicht viel. Wir haben die Anwohner befragt und sind in den umliegenden Museen gewesen, wo wir mit den Angestellten gesprochen haben.»
«Niemand hat die Tat beobachtet.»
«Keiner hat die Schüsse gehört.»
«Jemand hat erzählt, dass eine Frau mit einem grünen Opel ihm den Parkplatz weggenommen hat.Als wir nachgefragt haben, stellte sich heraus, dass auch ein Mann am Steuer gesessen haben könnte. Ein anderer hat sich von zwei Jugendlichen belästigt gefühlt. Wieder jemand anderer glaubt, mehrmals einen grauen Lieferwagen gesehen zu haben.»
«Eine Putzfrau aus dem Filmmuseum berichtet, sie habe ein Paar bemerkt, das sichheftig gestritten hat. DerMann habe die FrauamArm gezogen.Als sie sich gewehrt hat, habe er sie geschlagen. Eine Beschreibung der beiden gibt es nicht. Es sei zu dunkel gewesen.»
«Habt ihr auch nach dem Mann gefragt, von dem Önal seiner Frau berichtet hat?», fragte Kerstin Henschel. «Der Mann, der am Nachmittag lange auf der Bank gesessen haben soll.»
Die beiden nickten gleichzeitig.
«Darauf haben wir uns konzentriert, als wir gemerkt haben, dass wir keine direkten Zeugen finden», sagte Kurt Delius. Dann machte er eine Pause.
«Und?»
«Gesehen hat ihn
Weitere Kostenlose Bücher