Partitur des Todes
Hast du mit ihm reden können.»
Kerstin Henschel schüttelte den Kopf. «Er ist auf Dienstreise in den USA und hat seine Frau und die beiden kleinen Kinder mitgenommen. Es wird versucht, sie dort ausfindig zu machen.»
«Und was ist mit dem Mann, mit dem Elfriede Waibling zusammen war, Franz Helmbrecht?»
«Darüber kann Sven uns berichten.»
«Viel ist es nicht, was ich habe», sagte Liebmann, «aber immerhin mehr als nichts.Franz Helmbrecht wohnte in der Siedlung Goldstein, in einem dieser kleinen Einfamilienhäuser, die Ende der zwanziger Jahre in Nachbarschaftshilfe erbaut wurden.Als ich an dem Haus ankamund geklingelt habe, hat mir eine Frau geöffnet, die dort einmal in der Woche putzt. Sie stammt aus Thailand und spricht wenig deutsch. Immerhin hat sie mir erzählt, dass Helmbrecht ihr für die nächsten drei Wochen freigegeben hat, da er vorhatte, in Urlaub zu fahren. Er lebte ebenfalls alleine und war seit vier Jahren Witwer. So bescheiden das Haus von außen wirkt, innen war es ziemlich nobel eingerichtet. Ich habe die Putzfrau gebeten, mir den Schlüssel auszuhändigen, dann habe ich sie nach Hause geschickt.»
«Um was zu tun?», fragte Kerstin Henschel.
Sven Liebmann lächelte. «Um mich im Haus umzuschauen.Aber, bevor ihr jetzt anfangt zu schreien: Ja, ich habe die Staatsanwaltschaft angerufen und um Rückendeckung gebeten.Also… alles in Ordnung!»
«Gut! Dann weiter, berichte», drängte Marthaler.
«Ich habe ein wenig in Helmbrechts Unterlagen gestöbert. Er hatte ein kleines, aber ziemlich gut laufendes Bauunternehmen, das er vor zehn Jahren verkauft hat. Ihm gehörten einige Häuser, die vermietet waren. Er selbst ist wohl immer in seinem Elternhaus wohnen geblieben. Ich habe ein Sparbuch gefunden, das ein Guthaben von über zweihunderttausend Euro verzeichnet. Interessant waren einige Briefe, die ich bei ihm gefunden habe. Tatsächlich waren Helmbrecht und Elfriede Waibling befreundet. Sie kannten sich seit gut zwei Jahren, und aus den Briefen geht hervor, dass er seine Freundin heiraten wollte. Sie war keineswegs abgeneigt, zögerte aber noch und schlug erst mal einen gemeinsamen Urlaub vor. ‹Danach werden wir weitersehen›, schrieb sie. Diesen Urlaub wollten die beiden morgen antreten.»
«Das erklärt den großen Geldbetrag, den Helmbrecht bei sich trug», sagte Kai Döring.
Marthaler schaute misstrauisch in die Runde. «Und von all dem soll Elfriede Waiblings Tochter nichts gewusst haben?»
Kerstin Henschel hob die Schultern: «Offensichtlich nicht. Jedenfalls hat sie kein Wort darüber gesagt.»
«Und was schließen wir daraus?», hakte Döring nach.
«Warte, Kai!», sagte Sven Liebmann. «Helmbrecht hat einen Sohn; sein Name ist Michael.Auch von ihm habe ich ein paar Briefe gefunden. Er hat von der Beziehung seines Vaters gewusst, und er hat ihm deswegen Vorwürfe gemacht. Und jedes Mal ging es in diesen Briefen um Geld. Erhat seinen Vater angebettelt. Wie es aussieht, steckte der Bursche in Schwierigkeiten.»
«Du meinst, er hätte ein Motiv gehabt?»
«Das sehe ich so. Wenn er von den Heiratsplänen seines Vaters wusste, hat er einen großen Teil seines Erbes davonschwimmen sehen.»
Döring wiegte ungläubig den Kopf: «Und um die Hochzeit zu verhindern, bringt er fünf Leute um?»
«Kommt drauf an, wie groß dieses Erbe insgesamt ist. Und kommt drauf an, wie sehr er selber in der Klemme steckt. Michael Helmbrecht wohnt übrigens in der Heidestraße. Dort betreibt er in einem Hinterhof eineAutowerkstatt. Leider habe ich ihn nicht angetroffen. Ein Nachbar beklagte sich, dass er dort vorwiegend am spätenAbend arbeite. Dieser Nachbar war es auch, der Helmbrecht junior einmal angezeigt hat, weil der ihn mit einem Hammer bedroht habe. Ich hab mal ins System geschaut: Tatsächlich gilt Michael Helmbrecht als gewalttätig. Ihn zur Fahndung auszuschreiben, wäre wohl noch zu früh, aber auf jeden Fall ist er eine person of interest .»
Marthaler verdrehte dieAugen.Sven Liebmann hatte seit seinerAusbildung eine gewisse Vorliebe nicht nur für den Sprachgebrauch, sondern auch für die Methoden der amerikanischen Polizei. Er war für ein halbes Jahr beim Los Angeles Police Department gewesen und hatte dort seine ersten Mordfälle bearbeitet. Jetzt überlegte Marthaler, ob er seinen jüngeren Kollegen darauf hinweisen sollte, dass es nicht dasselbe war, ob man in Frankfurt oder in einer nordamerikanischen Millionenstadt ermittelte. Er schaute sich um und sah, dass die anderen
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