Partitur des Todes
demsardischen Restaurant vorbei in die Wiesenstraße und bog dann nach rechts in die Heidestraße. Noch einmal sah er im Lichteiner Straßenlaterne Kerstin Henschel und Oliver Frantisek. Sie hatten einander untergehakt und überquerten zwanzig Meter vor ihm die Fahrbahn. Dann verschwanden sie in der Dunkelheit.
Zweimal stoppte Marthaler den Wagen, um nach den Hausnummern zu schauen. Dann hatte er dieAdresse gefunden. Es war ein altes Mietshaus, hinter dem sich ein großer Garagenhof befand. Daneben der leere Kundenparkplatz eines Supermarktes. Er wendete und parkte am Rand derZufahrt. Einen Moment blieb er sitzen und schaute hinaus in die Nacht. Er ließ die Scheibe herunter und lauschte.Außer dem leisen Rauschen der Stadt war nichts zu hören.
Dann stieg er aus und näherte sich dem Garagenhof. Ganz am Ende sah er unter einem der zweiteiligen Holztore einen schmalen Streifen Licht. Langsam ginger darauf zu. Als er nahe genug war, hörte er ein Geräusch. Ein leises, metallisches Hämmern, dann ein Schaben wie von einer Feile. Marthaler zog seine kleine Taschenlampe hervor und leuchtete das hölzerne Garagentor ab. Hinter einer Plastikfolie war ein mit Reißzwecken befestigtes, handgeschriebenes Schild zu lesen: «Michael Helmbrecht– Gebrauchtwagen und Kfz-Reparaturen.Alle Fahrzeugtypen.»
Marthaler überlegte, ob er einen Streifenwagen anfordern sollte. Dann entschied er sich anders. Er ging zurück zu seinemAuto, setzte sich auf den Fahrersitz und wählte die Nummer von Helmbrechts Mobiltelefon. Nach einer halben Minute meldete sich eine Männerstimme.
«Ja?»
«Herr Helmbrecht, sind Sie in Ihrer Werkstatt?»
Kurze Zeit herrschte Schweigen.
«Wer ist da?», fragte Helmbrecht.
«Kriminalpolizei. Mein Name ist Marthaler. Sie wissen, was mit Ihrem Vater geschehen ist.»
«Was wollen Sie?»
«Ich möchte mit Ihnen sprechen! Ich möchte Sie bitten, Ihre Werkstatt zu verlassen.»
«Was soll die Scheiße? Ich hab keine Zeit. Ich hab zu arbeiten.»
«Bitte kommen Sie raus. Sonst werde ich Sie vorladen müssen.»
«Vergiss es, du Arsch. Mach, was du willst.»
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Angestrengt schaute Marthaler in Richtung der Werkstatt. Nichts geschah. Er merkte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Wenn Helmbrecht wirklich etwas mit den Morden zu tun hatte, war er jetzt vorgewarnt.
Dann wurde das Garagentor geöffnet. Das Licht aus demInneren fiel als gelbes Dreieck auf den dunklen Hof. Kurz darauf erschien die Silhouette eines großen Mannes. Michael Helmbrecht schaute sich um. Er hielt etwas in der Hand, einen großen Gegenstand.Aber Marthaler konnte nicht erkennen,was es war.Als der Mann niemanden bemerkte, ging er wieder zurück und schloss das Tor von innen.
Marthaler gähnte. Seine Erschöpfung war so tief, dass er das Gefühl hatte, seit vielen Nächten nicht geschlafen zu haben. Er war müde und aufgedreht zugleich. Mit jeder Minute, die er länger arbeitete, stieg die Gefahr, dass er mehr Fehler machte.
Trotzdem wollte er einen weiteren Versuch unternehmen.
Wieder wählte er Helmbrechts Nummer. Diesmal meldete sich niemand. Marthaler beschloss zu warten, was geschehen würde. Sollte sich der andere nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten zeigen, würde Marthaler den Kriminaldauerdienst benachrichtigen und Helmbrecht mit aufs Präsidium nehmenlassen. Dort würde man ihn in eine Arrestzelle stecken und morgen Vormittag vernehmen.
Nach zwei Minuten fielen Marthaler dieAugen zu. Kurz darauf war er bereits fest eingeschlafen.
In seinem Traum stand Marthaler in einem riesigen, grauen Büro. Darin ein langer Tisch, an dem zwei Männer saßen, die sich immer wieder in stillem Einverständnis anschauten. Vor dem Schreibtisch zwei hüfthohe Pfosten aus Messing, die mit einer dicken, roten Kordel verbunden waren. Er musste davor stehen bleiben. Man war freundlich, schien aber auch besorgt zu sein. Während wie in einem Kaufhaus aus einem Lautsprecher Waren angepriesen wurden, reichte man ihm einen Umschlag. Erwartungsvoll schauten ihn die beiden Männer an. Er zog ein Bild hervor und schaute es an. Obwohl er nicht erkannte, was er sah, erfüllte es ihn mit so tiefem Ekel, dass er es fallen ließ. Dann hörte er hinter sich die Stimme von Tereza. Er war erleichtert, sie in seiner Nähe zu wissen. Sie redete leise und beschwörend auf ihn ein, aber er konnte sie nicht verstehen, da sie tschechisch sprach.Als er sich zu ihr umdrehen wollte, um sie zu begrüßen, war sie
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