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Partitur des Todes

Partitur des Todes

Titel: Partitur des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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um für jeden Einzelnen das Mitgefühl aufbringen zu können, das er verdienthätte.Aber jeder neue Tatort hinterlässt Spuren, die nicht mehr zu beseitigen sind.Auch wenn die Erinnerung mit der Zeit verblasst und durch neue Verbrechen überdeckt wird: Die alten Spuren bleiben.
    Es hatte immer wieder Zeiten gegeben, in denen Marthaler die Zumutungen seines Berufs so groß erschienen waren, dass er kurz davor gewesen war, zu kündigen. Trotzdem war er geblieben. Weil er wusste, dass es vielen Kollegen ähnlich ging, und weil es immer jene waren, die er am meisten schätzte. Weil er nicht wollte, dass sein Platz von jemandem besetzt wurde, der seinen Beruf nur als Job betrachtete, von einem jener routinierten Karrieristen, wie sie in den letzten zehn Jahren immer häufiger in den Reihen der Polizei zu finden waren. Und weil er nicht wusste, was er sonst hätte tun sollen. Weil er inzwischen oft das Gefühl hatte, dass er von den Jahren als Ermittler zu sehr geprägt worden war, um noch einen anderen Beruf ausüben zu können.«Einmal Bulle, immer Bulle», hatte Carlos Sabato vor einiger Zeit zu Marthaler gesagt. Und Marthaler fürchtete, dass sein Freund damit recht hatte. Dass |188| sie alle schon nicht mehr in der Lage waren, ein Leben zu führen, das nach anderen Regeln als denen des Polizeiapparates verlief.
    Marthaler trank den letzten Schluck von seinem Bier. Er stand aus seinem Sessel auf und schlurfte müde ins Bad.Als er sich ausgezogen und die Zähne geputzt hatte, löschte er die Lampen und schlich ins Schlafzimmer. Terezas linke Hand lag auf seinem Kopfkissen. Er schob sie vorsichtig beiseite, legte sich hin und schlief augenblicklich ein. Irgendwann in der Nacht spürte er eine Berührung. Er versuchte, sie in seinen Traum einzubauen, bis er merkte, dass Tereza ihn von hinten umfasst hielt und seineBrust streichelte.
    «Wie viel Uhr ist es?», fragte er,als er endlich wach genug war, um sprechen zu können.
    «Bald kommt Morgen», flüsterte sie und drückte sich enger an ihn.
    Nach einer Weile rückte er von ihr ab und legte sich auf den Rücken. «Wollen wir reden?», fragte er. «Willst du mir jetzt sagen, was los ist? Gestern am Telefon, da hast du… »
    Weiterkam er nicht. Tereza hatte ihre rechte Hand auf seinen Mund gelegt. «Nein, jetzt nicht.»
    Wieder kam sie ein Stück näher.Als sie sicher war, dass er nicht weitersprechen würde, begannen ihre Fingerspitzen, seine Lippen zu umkreisen. Dann fuhr sie ihm mit dem Zeigefinger über den Hals, zog eine Linie über das Brustbein bis zum Nabel und massierte nun leicht die Innenseiten seiner Oberschenkel.Leise stöhnte er auf.
    Er wandte sich ihr zu und begann nun ebenfalls, sie zu streicheln.
    Sie liebten sich lange, heftig und wortlos.Am Ende lagen sie wieder Seite an Seite und hielten sich bei den Händen, beide schwitzend und mit schweremAtem.
    «Meine Güte», sagte Marthaler nach einer Weile, «das war schön.» Als Tereza nicht reagierte, merkte er, dass sie bereits wieder eingeschlafen war. Dann fielen auch ihm die Augen zu.
     

Siebzehn
    Bevor Valerie die Augen aufschlug, versuchte sieihre Hände zu bewegen. Wieder hatte sie geschlafen. Und wieder wusste sie nicht, wie viel Zeit vergangen war. Sie öffnete den Mund. Mit der Zunge fuhr sie sich über die trockenen Lippen. Mehrmals atmete sie tief ein und wieder aus. Die Luft war feucht und muffig.Aber Valerie war nicht mehr geknebelt. Man hatte ihr die Fesseln abgenommen. Sie konnte ihreArme und Beine bewegen. Sie lebte.
    Einen Moment empfand sie etwas wie Dankbarkeit. Wer auch immer ihr das angetan hatte, er hatte sie leben lassen. Er wollte sie nicht töten. Jedenfalls noch nicht jetzt. Am Donnerstagvormittag war sie zumGare de l’Est gefahren, um sich eine Fahrkarte zu kaufen und den nächsten Zug nach Frankfurt zu nehmen. Schon am Nachmittag sollte sie dort einen Mann treffen, der sie angerufen und sich als Rechtsanwalt vorgestellt hatte, der einen kleinen, deutschen Musikverlag vertrete. Herr Morlang hatte sie am Telefon immer wiederbeschworen, dass er unbedingt der Erste sein müsse, mit dem sie über das Manuskript der Partitur in Verhandlungen trete. Das Geheimnis einer Sommernacht. Sie hatte es ihm versprochen, aber sogleich betont, dass es noch zahlreiche weitere Interessenten gebe.
    Die Abfahrt aus Paris hatte sichimmer weiter verzögert.Auf der Bahnstrecke hatte sich ein Unfall ereignet, und erst am Nachmittag waren die Gleise wieder freigegeben worden. Sie hatteAchim Morlang

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