Partitur des Todes
eine MengeArbeit sein.»
«Was ist eigentlich mit den Bildern, von denen Becker und Delius berichtet haben? Die dieser Fotograf am Mainufer gemacht hat?», fragte Marthaler.
«Der Mann hat sich nicht mehr gemeldet», antwortete Kerstin Henschel. «Und zu erreichen ist er auch nicht. Wahrscheinlich hat er es einfach vergessen.»
Die Tische in dem Raum waren zu einem U angeordnet. Drei Männer und zwei Frauen saßen auf ihren Stühlen und telefonierten. Siealle hatten Headsets auf und tippten während der Gespräche auf ihren Computertastaturen. Sobald einer von ihnen ein Telefonat beendete, blinkte die Signallampe an derAnlage erneut. Sie notierten Namen, Rufnummern und Adressen, dann nahmen sie dieAussagen derAnrufer entgegen.
Kerstin Henschel gab ihnen ein Zeichen, dass sie ihreArbeit unterbrechen sollten. Zuletzt telefonierte noch eine der Frauen.Als auch sie das Gespräch beendet hatte, war es für einen Moment vollkommen ruhig.
«Was passiert mit den Anrufern, die es jetzt versuchen?», fragte Marthaler.
«Es läuft ein Band», sagte einerder Männer. «Die Leute werden darauf hingewiesen, dass unsereAnlage überlastet ist, dass siees aber auf jeden Fall noch einmal versuchen oder ihre Nummer hinterlassen sollen.»
Erst jetzt erkannte Marthaler den Kollegen. Es war ein kleiner, untersetzter Beamter, mit dem er schon gelegentlich zusammengearbeitet hatte. Er hieß Rainer Thielicke und war einer derErmittler gewesen, die versucht hatten, den Mord an dem kleinen Tristan Brübach aufzuklären. Der Junge war im März 1998 in einem Tunnel im Frankfurter Stadtteil Höchst von Kindern tot aufgefunden worden. Der Täter hatte dem Dreizehnjährigen die Kehle durchtrennt und ihm große Muskel- und Gewebestücke vom rechten Bein abgeschnitten.Außerdem waren dem Jungen seine Hoden entnommen worden. Der Mord hatte eine der größten Polizeiaktionen der Kriminalgeschichte ausgelöst.Eine der Spuren hatte nach Tschechien geführt, eine andere nach Frankreich. Obwohl der Mörder einen blutigen Fingerabdruck hinterlassen hatte,blieb die Suche nach ihm erfolglos. Der Abdruck warin den Datenbanken von über siebzig Ländern abgeglichen worden. Trotzdem wurde man nicht fündig. Der Täter war bislang nicht gefasst. Rainer Thielicke war einer der Beamten, die damals als erste am Tatort gewesen waren. Er hatte in den Monaten danach oft Tag und Nacht gearbeitet. Er war nicht der einzige Ermittler, den der Fall Tristan zermürbt hatte.Als die große Sonderkommission aufgelöst wurde, hatte sich Thielicke in den Innendienstversetzen lassen. Jetzt leitete er die Telefonermittlungen.
«Gut», sagte Marthaler. «Habt ihr schon was für uns?»
Thielicke war aufgestanden. Er nahm einen Stapel Papiervon seinem Tisch und kam damit auf Henschel und Marthaler zu.
«Hier», sagte er. «Das ist die Ausbeute des heutigen Vormittags. Wir tippen unsere Gesprächsnotizen direkt in den Rechner, dann drucken wir sie aus. Das hier sind ungefähr fünfzig Protokolle. Es sind die Hinweise, von denen wir denken, ihr solltet ihnen rasch nachgehen. Die anderen haben wir aussortiert; trotzdem müsst ihr sie euch ansehen, sobald ihr Zeit habt. Ihr seid die Fachleute, ihr kennt den Fall; und wir wollen nicht schuld sein, wenn ein Hinweis übersehen wird.»
Marthaler nickte. «Dann lass uns nach nebenan gehen, damit die anderen hier weiterarbeiten können.»
Zu dritt setzten sie sich im Nebenzimmer an einen Tisch.
«Ich weiß nicht, ob Robert heute schon die Zeitungen gelesen hat…», sagte Kerstin Henschel und schaute ihren Kollegen grinsend an.
«Kerstin, du weißt, dass ich verschlafen habe. Wie oft wollt ihr das Eingeständnis noch hören? Nein, ich habe noch nicht in die Zeitung geschaut.»
«Okay.Charlotte hat gestern Abend die Presseleute darum gebeten, einen Aufruf zu veröffentlichen, in dem die Bevölkerung um Mithilfe gebeten wird. Es sollen sich alle melden, die vorgestern in der Nähe des Tatortes waren. Jeder, der dort fotografiert oder gefilmt hat, wird aufgefordert, sich mit uns in Verbindung zu setzen und uns seine Aufnahmen zur Verfügung zu stellen. Es wird nach Zeugen gesucht, die den unbekannten Mann auf der Bank gesehen haben.Außerdemhat sie nochmal besonders auf den grauen Lieferwagen hingewiesen.»
«Auf welchen grauen Lieferwagen?», fragte Marthaler.
«Becker und Delius waren bei ihren Befragungen darauf gestoßen, dass ein Zeuge mehrmals einen solchen Wagen in der Nähe des Tatorts gesehen haben will.»
«Gut. Dann
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