Partitur des Todes
Karte war verschwunden.
Dann hörte er einen Wagen mit quietschenden Reifen anfahren. Ein silberfarbener Audi TT kam aus derAusfahrt des Parkhauses auf ihn zugerast. Marthaler sprang zur Seite.Als derWagen seine Höhe erreicht hatte, konnte er das Gesicht des Fahrers erkennen. Es war Werner, der Mann im grauenAnzug.
Marthaler schaute dem Wagen nach. Das Nummernschild war deutlich zu lesen.
Sechundzwanzig
Als sein Mobiltelefon läutete, lag Oliver Frantisek ausgestreckt auf dem Bett eines VW California T 5, den er sicham späten Nachmittag am Kölner Melatengürtel gemietet hatte.
Aus den vier Lautsprechern drang gedämpfte Musik. Die Beach Boys sangen «Help me Rhonda». Und Frantisek sang leise mit: «Help me Rhonda, help, help me Rhonda, help me Rhonda yeah, get her out of my heart.»
Nach seinem Treffen mit MarcelLambert war er noch einmal quer durch die Kölner Innenstadt gelaufen, bis er endlich einen Autoverleih gefunden hatte, aufdessen Hof das gewünschte Wohnmobil stand. Er hatte einen Vertrag unterschrieben, demzufolge er den Wagen drei Tage später in Frankfurt abgeben musste.
Anschließend hatte er in einem Baumarkt noch ein paar Einkäufe erledigt.Auf derA 3 war er in Richtung Südosten gefahren, hatte auf einer Raststätte in der Nähe von Limburg einen Salat gegessen und im Tankstellenshop ein wenig Verpflegung gekauft.Als er in dem Ständer amAusgang die CD mitden erfolgreichsten Songs der Beach Boys gesehen hatte, war er noch einmal zur Kasse zurückgegangen. Frantisek war von derAutobahn abgebogen und über die Bundesstraße8 quer durch den Taunus gefahren. In Kronberg hatte er das Wohnmobil aufeinem öffentlichen Parkplatz abgestellt, dann hatte er sich einen Stadtplan gekauft, um die Straße mit der alten Villa zu finden, in der die Sabana GmbH ihren Sitz hatte.Anschließend hatte er den Ort wieder verlassen und war ein paar Kilometer entfernt in einen einsam gelegenen Waldweg gefahren,wo er sich ausruhen und warten wollte, bis es Nacht war.
Er drückte auf den Empfangsknopf seines Handys, hielt den Hörer ans Ohr und wartete, dass sich jemand meldete.
«Wo bist du?»
Obwohl sie noch nie miteinander telefoniert hatten, erkannte er Kerstin Henschels Stimme sofort. Jetzt ärgerte er sich, dass er sein Telefon nicht abgestellt hatte. Er freute sich, dass sie anrief, wollte ihr aber nichts erklären.
«Ich habe mir ein Wohnmobil gemietet», sagte er. «Ich bin unterwegs.»
«Du hörst Musik. Ich kenne das Stück. Wie war es in Köln? Hast du etwas herausbekommen?»
«Ja… mal sehen… vielleicht», sagte er.
Kerstin lachte. «Was heißt ‹mal sehen›? Hast du oder hast du nicht?»
«Ich weiß nicht.»
«Was ist mit dir», fragte sie. «Bist du nicht allein, kannst du nicht reden?»
Oliver Frantisek verfluchte sich. Statt einfach draufloszuplaudern und sie so von ihren Fragen abzulenken, reagierte er einsilbig und verstockt. Er wollte sie nicht belügen, aber er wollte ihr auch nicht die Wahrheit sagen.
«Doch, ich bin allein. Ich bin auf etwas gestoßen, aber ich möchte nicht darüber sprechen. Es ist besser, du weißt von nichts.»
«Ich verstehe», sagte sie.
«Nein, Kerstin, bitte! Es ist nicht, wie du denkst. Ich vertraue dir.Aber es gibt Sachen, die muss man alleine durchziehen oder gar nicht.»
Sie versuchte es mit einem Scherz. «Huh, wie das klingt. ‹SpecialAgent O.› in geheimer Mission.»
«Ja. So ähnlich.»
«Egal», sagte sie. «Ich wollte dich nicht bedrängen. Ich wollte nur deine Stimme hören. Weißt du, wann du zurückkommst?»
«Wahrscheinlich morgen.»
«Das heißt?»
«Das heißt: wahrscheinlich morgen.»
«Charlotte von Wangenheim hatte recht», sagte Kerstin Henschel.
«Was meinst du?»
«Dass Schimpansen besser kommunizieren können als manche Polizisten.»
«Kerstin, entschuldige. Ich melde mich… Und…»
«Und?»
«Ich freue mich darauf, dich wiederzusehen. Es war schön gestern Abend… gestern Nacht.»
«Ja», sagte sie, «das war es.»
Dann legte sie auf.
Oliver Frantisek schaltete die Mailbox ein und steckte das Handy in seine Jackentasche. Die Rollos an den Scheiben des Wohnmobils hatte er heruntergelassen. Er trank einen Schluck Wasser, zog sich aus und sprach im Liegen ein Nachtgebet. Dann konzentrierte er sich auf seine innere Uhr. Er versuchte, seinen chronobiologischen Rhythmus von dem eines Erwachsenen auf den eines Babys umzustellen. So würde er nicht erst in acht Stunden, sondern bereits in fünf Stunden wieder
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