Partitur des Todes
Gottesgeschenk handelt oder um Teufelswerk. Jedenfalls ist es ein Sesam-öffne-dich.»
TwistDrill war vor zwölf Jahren von einem Schüler aus der englischen Provinz entwickelt worden und kursierte seitdem im inneren Zirkel der internationalen Cracker-Szene. Das Programm konnte mit allen bekannten Betriebssystemen umgehen, überwand sämtliche Zugangssperren, knackte die meisten Codierungen und schraubte sich wie ein Bohrer in die Datensätze jeder Festplatte.
Allerdings war es nicht ganz einfach, sich die jeweils neueste Version zu beschaffen. TwistDrill wurde weder über das Internet noch über Mail-Anhänge verbreitet, sondern nur von Hand zu Hand weitergegeben.Alle, die in die Gnade kamen, es benutzen zu dürfen, wurden aufgefordert,an seiner Weiterentwicklung mitzuwirken. Oliver Frantisek besaß die vierte Überarbeitung der zwölften Version von TwistDrill, und er hoffte, dass sie aktuell genug war, ihm Zugang zu den Geheimnissen der Sabana GmbH zu verschaffen. Er benutzte das Programm zum ersten Mal und war gespannt, ob es den Versprechungen des BKA-Kollegen gerecht wurde.
«So, mein kleiner Scheißer», sagte er. «Nun zeig, was du kannst.»
Dann stand er auf und ging zurück in die Teeküche, um sich einen Kaffee zu kochen und zu warten, dass TwistDrill seine Arbeit tat.
Als er nach einer Viertelstunde wieder nachschaute, lief auf dem Monitor die Endlosschleife eines alten Werbeclips, mit dem Boris Becker vor Jahren für einen großen Online-Anbieter geworben hatte. Der Tennisspieler saß vor seinem Computer und versuchte, mit den Tücken dermodernen Technik fertig zu werden. Dann sah man sein erstauntes Gesicht und hörte ihn sagen: «Bin ich da schon drin, oder was? Ich bin drin. Das ist ja einfach.»
Frantisek grinste. Es freute ihn, dass die Entwickler von TwistDrill nicht nur ein effektives Programm geschaffen hatten, sondern offensichtlich auch Sinn für Humor besaßen. Er zog einen Zettel aus seiner Brieftasche, auf dem er sich die nächsten Schritte notiert hatte. Ein paar Minuten langtippte er Zahlen- und Buchstabenkombinationen in das Keyboard, dann erschien eine Eingabemaske. Er sollte einen Suchbegriff festlegen.
Es gab nur zwei Worte, die ihm einfielen. Wenn es damit nicht funktionierte, wäre alles vergeblich gewesen. Er tippte: DESERT EAGLE .
Dann hielt er die Luft an.Als das Programm die nächste Meldung ausgab, wippte sein Knie nervös auf und ab: «System wird durchsucht. Decodierungstools laufen. Bitte haben Sie einen Moment Geduld!»
Er schloss dieAugen und wartete.Als er sie wieder öffnete, las er, was auf dem Bildschirm stand. «Sie suchten nach: DESERT EAGLE. Es wurde ein Datensatz gefunden und decodiert.»
Oliver Frantisek ballte beide Hände zu Fäusten und stieß seine Arme zu einer Geste des Triumphs in die Luft. «Ja», rief er. «Gut gemacht, du kleiner Scheißer. Das reicht. Das reicht mir vollkommen.»
Siebenundzwanzig
«Nein», hatte Marthaler gesagt, als eran derAusfahrt der Tiefgarage stand und mit einer Kollegin vom Kriminaldauerdienst sprach. «Ich will nicht, dass wir nach ihm fahnden, ich will nur wissen, wie er heißt und wo er wohnt. Und ich möchte, dass Delius und Becker seine Wohnung beobachten.» Er hatte das Kennzeichen des silberfarbenen Audi TT genannt und gewartet, dass man ihm Namen und Adresse des Halters durchgab.
Der Mann im grauenAnzug hieß Werner Heubach. Er war neunundvierzig Jahre alt und wohnte im Frankfurter Bogen, einer Neubausiedlung im äußersten Norden der Stadt. Den Straßennamen hatte Marthaler noch nie gehört.
Er hatte sich alles notiert, hatte im Supermarkt unter dem Hauptbahnhof noch Espressopulver und eine Packung Toastbrot gekauft, dann war er nach Hause gefahren.
Erfolglos hatte er noch ein paar Mal Terezas Nummer gewählt, war schließlich ins Bett gegangen und fast augenblicklich eingeschlafen. «Wir bekommen ein Kind.» Das war das Erste, was er dachte, als er am Sonntagmorgen um kurz nach sieben aufwachte. «Wir bekommen ein Kind, wir werden heiraten und uns eine größere Wohnung suchen.Am besten eine mit Garten.» Erüberlegte, was sie alles anschaffen mussten. Einen Wickeltisch, ein Kinderbett, Windeln, Kindernahrung. Wenn es ein Junge wurde, wäre es womöglich gut, sofort eine Modelleisenbahn zu kaufen, um mit demAufbau rechtzeitig beginnen zu können.Amliebsten wäre er sofort losgefahren, um die dringendsten Einkäufe zu erledigen.
Als er in den Flur kam, sah er das Lämpchen seinesAnrufbeantworters
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