Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
Volontär ihm von seiner Unversehrtheit berichtete?
Morgen würden die, die ihm etwas gesagt haben, die Zeitung kaufen und nachlesen. Und dann würden sie Dritte anrufen und sagen: »Was sagst du, sogar die Zeitung schreibt das.« Andere würden schließen, von wem die Zeitung diese Informationen erhalten hat, und sich beschweren, würden drohen.
Die Bedrohten würden sagen: »Du hast es nötig!«
Sie wollten den Toten weiter benützen. Zur Rechtfertigung oder zur Verurteilung.
Sie waren widerlich. Dem Volontär graute. Aber er hatte einen Auftrag. Und eine Geschichte.
Der Volontär riss die Tür zum Chefredakteur auf und sagte keuchend:
»In zwanzig Minuten haben Sie vierzig Zeilen.«
Er tippte. Er hatte sich und alle besiegt. Er hatte die Skrupel der Heimfahrt vergessen. Er würde dem Chefredakteur ein Staunen entlocken. Ein Anfänger, und so wenig scheu und so listig und so sensibel. Und irgendwie gut lesbar würde das auch werden. Der Tod des bekannten Geschäftsmannes war so unerklärlich nicht, wie Außenstehende zu glauben nur allzu bereit waren. Freilich, die Enthüllungen würden nicht allen recht sein, einigen sogar peinlich. Aber hier ging es um Wahrheit, um Journalismus. Um den Volontär.
Er war fertig. Er las den Text noch einmal durch. Er hatte einen glänzenden Titel gefunden.
Mit der größten journalistischen Leistung seines Lebens in Händen betrat der Volontär das Zimmer des Chefredakteurs und legte ihm seinen Zweispalter hin.
Der Chef las den Text. Dann sah er den jungen Mann prüfend an.
»Das haben sie dir wirklich alles erzählt?«
Der Volontär bejahte.
»Da hast du aber gar nicht so blöd gefragt. War unangenehm, was?«
Der Volontär zuckte – verlegen stolz – die Achseln.
»Es ist schon ein unglaubliches Gesindel.«
Mit diesem Satz nahm der Chefredakteur das Papier, zerknüllte es und warf es in den Papierkorb. Dann sah er den Volontär tückisch an.
»Selbstmorde sind für unsere Zeitung grundsätzlich tabu.«
Der Volontär begriff nichts.
Dann ein wenig. Da saß ein zufriedener Lehrer, der einem Schüler etwas Gutes getan hatte. Der ausgebuffte Fuchs hatte ihn probehalber durch die Hölle gejagt. Aber so wichtig war ihm die Sache auch wieder nicht.
Er hielt dem Volontär einen Agenturbericht hin und sagte:
»Kürz das auf zwölf Zeilen.«
Das Duo
SIE WAREN IDEALE PARTNER, ein bekanntes und hochgerühmtes Duo der internationalen Konzertwelt, Geiger und Pianist. Sie beherrschten virtuos die gesamte klassische Literatur für Geige und Klavier, erschreckten ihr Publikum aber immer wieder einmal auf missionarische Art mit Neutönern.
In den Kritiken ihrer Auftritte fanden sich Formulierungen wie »vollendetes Zusammenspiel«, »kongeniales musikalisches Atmen«, »interpretatorische Übereinstimmung bis in die letzte Nuance«, und wie Lobesvariationen nur denkbar sind, immer wieder.
Ihre Agentur konnte sich vor Anfragen nicht retten, musste daher sorgsamst planen und auswählen. Ihre Tonträger waren – trotz der kleinen Krise in der Klassik-Branche – Pflichtbesitz der Kenner und Liebhaber.
Sie waren in derselben Stadt aufgewachsen, hatten auch dieselbe Schule besucht, dort einander aber noch nicht gekannt, denn der Pianist war zwei Jahre älter. Sie wussten also auch nichts vom Privatunterricht des jeweils hochbegabten Anderen bei einem Meister.
Erst eine Zufallsbegegnung an der Musikakademie – »Willst du das mit mir einmal durchspielen?« – ließ sie erst unbewusst, dann immer bewusster begreifen, dass sie füreinander bestimmt waren. So hatte sich die Karriere logisch entwickelt. Nicht dass die Künstler nicht auch solistisch, vor und mit großen Orchestern tätig waren, aber ihr großer Ruf begründete sich auf ihrem Duo.
Optisch waren sie unharmonisch. Der Pianist eher der Typ des Wissenschaftlers, bebrillt, seriös frisiert, in seiner Sprache leise, aber sehr bestimmt, der Geiger im Dialog brillant, in seiner Selbstdarstellung »Künstler« von Haarpracht bis Schuh, was aber mit seiner gestalterischen Ernsthaftigkeit in keiner Weise zu tun hatte.
Dementsprechend verlief die private Entwicklung der Duopartner. Der Pianist ehelichte eine Pädagogikstudentin, deren dieser Verbindung entsprossenen drei Kinder ihr Wissen auf dem Gebiet beanspruchten und sie daher sehr an das Haus banden. Die Pianistenfrau war also meist nur bei den Konzerten in der Heimatstadt anwesend, bei Gastspielen nur in mühsam zu organisierenden Ausnahmefällen. Der Geiger
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