Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
sagte:
»Wär ganz schön, wenn die Geschichte vierzig Zeilen hergäbe.«
Ein achtzehnjähriger Journalistenlehrling wurde unter seiner sommerlichen Bräune bleich. Er traute sich schon nicht zu, einen Selbstmord zu recherchieren. Er traute es sich schon überhaupt nicht auf einem Friedhof zu, vor, während und nach einem Begräbnis. Ihm erschien das als unvertretbarer Gipfel an Taktlosigkeit. Aber er hatte nicht zu befinden, was Journalismus ist, er wollte ihn erlernen.
Er fuhr mit dem Fahrrad auf den Friedhof. Er fuhr schnell, in der Angst, das Wichtigste zu versäumen. Er kam mit klatschnassem Hemd an. Wie heiß muss erst denen sein, dachte er sich, die dem Anlass entsprechend gekleidet sind. Und es wurde ihm immer peinlicher, nur mit Sommerhemd und bunter Hose zu einem Begräbnis gekommen zu sein.
Die Trauergemeinde versammelte sich. Sie unterschied sich von anderen Trauergemeinden, so viel begriff er. Ein Selbstmord ist eine andere Art von Tod, auch danach. Seine Zunge war dick. Er würgte an einer ersten Frage, die er ja nun irgendeinmal an irgendjemanden stellen musste, wenn er je eine Geschichte zustande bringen wollte. Und er wollte. Was sollten ihm Angst und Scham.
»Wie konnte das passieren?«
Er hatte einen für sich stehenden Mann sehr geschäftsmäßig gefragt. Auf dessen erstaunten Blick hin nannte er seinen Namen und den der Zeitung.
»Ach so«, sagte der Angesprochene, »da müssen Sie schon seine Frau fragen. Die weiß das ganz genau.«
Sein Gesicht hatte etwas Verachtendes für diese Frau. Der Volontär entschied sich, seine Abneigung der Frau gegenüber als Ansatz für plausibel zu halten. Er zitterte, aber er bewegte sich auf das Zentrum des Menschenhaufens zu, dorthin, wo dieser immer einheitlicher schwarz wurde. In der Nähe des Zentrums sagte der Volontär seinen Namen und den der Zeitung und dann: »War die Ehe wirklich so schlecht?«
»Keine Rede«, sagte einer leise, »da war auch viel das Geld schuld.«
»Wieso?«, fragte der Volontär. »Das Geschäft ist doch sehr gut gelaufen.«
»Da kann ein Geschäft noch so gut laufen. Das hält kein Geschäft aus. Auf Dauer.«
Der Antwortende ließ den Volontär stehen.
Der machte sich seine erste Notiz. Sie muss die Verschwendungssucht gehabt haben, dachte er. Vielleicht hat sie gespielt. Vielleicht war der Mann ihr hörig und zu schwach, sie zu bremsen. Vermutungen wurden zu Fragen. Der Volontär ging hin und her. Leise und unauffällig, um Takt bemüht, sich der Schande aber immer bewusst.
Er musste durch, durch die Schande. Es gab kein Zurück. Er ging mit dem Wenigen, das er herausbekam, zu Leuten zurück, die Andeutungen gemacht hatten. Er versuchte sie mit den Ergänzungen durch das Wissen anderer zu Vertiefungen ihrer Andeutungen zu bewegen. Manche hätten ihn wohl gerne vom Friedhof gejagt. Aber die Trauer, die Betroffenheit, das Leise der Veranstaltung waren auch eine Art Schutz für ihn. Wahrscheinlich haben manche, die diesen aufdringlichen Frager gerne zum Teufel gejagt hätten, nur einen Skandal vermeiden wollen.
Die Geschichte wurde eine, irgendwie. Konnte die Verschwendungssucht der Witwe nicht auch Rache dafür gewesen sein, dass der Mann sie immer beschissen hatte? Hatte er sie beschissen, weil sie von ihm nichts wollte? Wer in der Verwandtschaft war wessen Partei? War der Mann, der sich vor den Zug legte, hoffnungslos isoliert? Der Volontär würde zu seiner Geschichte kommen, das stand fest. Mit ein paar Schlüssen, vermuteten Querverbindungen, war der Freitod logisch zu machen. Ja, der Volontär war nach einer guten Stunde in der Lage, Lesern der Zeitung Motive und auch glaubhafte anzubieten. Er raste mit dem Rad zurück in die Redaktion.
Während er wieder strampelte, versuchte er zu begreifen, warum ihm keiner oder keine Ohrfeigen angeboten oder gegeben hatte. Weil sie irgendwie geil darauf waren, was loszuwerden. Und sei es nur in den vagesten Andeutungen. Weil sie Partei waren. Weil sie angesichts des offenen Grabes nicht trauerten, sondern ihre Interessen vertraten oder die ihrer Bezugspersonen im engsten Familienkreis. Hier kondolierte im Kostüm der Trauer der Hass sich selbst zur Katastrophe.
Aber warum hielten die Bürger nicht die Spielregeln ein? Warum hatten sie dem Volontär nicht gesagt: »Diese Fragen sind hier gänzlich unpassend«?
Wusste der Chefredakteur, dass ein junger Reporter nicht verprügelt wird? Auch nicht in einer derartigen Situation? Oder würde er überrascht sein, wenn der
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