Partnerin wider Willen
zwei Minuten dahin kamen Ellen wie eine Ewigkeit vor. Mit einem kurzen »Gute Nacht« verabschiedete sie sich von Dana.
Später wusste Ellen nicht mehr zu sagen, ob Dana ihr überhaupt geantwortet hatte. Ihr Kopf war viel zu sehr damit beschäftigt, das Chaos zu ordnen, das plötzlich in ihr herrschte.
Sie hatte sich in Danas Gesellschaft tatsächlich wohl gefühlt, konstatierte Ellen verblüfft. Heute Morgen hätte sie das noch für unmöglich gehalten. Deshalb war sie auch sauer auf Dana, weil die mit ihrer provokativen Art gleich wieder alles kaputt machen musste. Andererseits, sagte Ellen sich, sollte sie eigentlich froh darüber sein. Sie konnte doch unmöglich mit Dana so etwas wie Freundschaft schließen! Du hättest Danas Einladung ausschlagen müssen, Ellen. Dachtest du etwa, du könntest vernünftig mit Dana reden? Na gut, eine Zeitlang sah es so aus, ihr hattet sogar Spaß. Ellen schniefte vor sich hin: Deshalb hatte sie ja auch ihre Vorsicht vergessen – und war umso heftiger unter Danas plötzlicher Berührung erschrocken. Es war der Frust über ihre eigene Unvorsichtigkeit, der dafür gesorgt hatte, dass sie aus dem Gleichgewicht geriet – und keinesfalls der Schauer, der ihr über den Rücken gelaufen war. Soviel stand für Ellen fest. Dieser Schauer – sofern es ihn überhaupt gegeben hatte, sie war sich da schon gar nicht mehr sicher – war nur ein Reflex, eine Art Kitzeln, ausgelöst durch den Reiz der Berührung von Danas Haaren an ihrem Hals. Weiche Haare, begleitet von einem Duft von Frische. Was aber nicht die geringste Rolle spielte!
5.
N icht zu fassen, dachte Ellen und blätterte in der Düpow-Akte. Schon beim Kopieren der Seiten unter Gerstäckers verkniffenem Blick war ihr aufgefallen, dass sie möglicherweise Material über einen weiteren Verdächtigen in den Händen hielt. Dana schien da tatsächlich einen Zufallstreffer gelandet zu haben.
Jetzt, in ihrem Büro, las Ellen die Akte aufmerksam durch. Kessler wollte das Grundstück in Düpow nicht kaufen. Im Gegenteil: Er hatte es an den Bauern verkauft. Vor zwei Jahren. Warum die Akte auf Gerstäckers Schreibtisch lag, obwohl der Vorgang so lange zurücklag, erklärte sich schnell aus den Papieren – speziell aus einem Brief des Landwirtes, in dem er eine Schadensersatzforderung an Kessler stellte, weil der beim Verkauf des alten Erlenhofs kein Wort von der ehemaligen Deponie gleich in der Nachbarschaft erwähnt hatte. Erst recht nichts von den dort entsorgten Chemikalien und der daraus resultierenden Verseuchung des Bodens. Auf dem der ahnungslose Landwirt seine Freilandschweine sich suhlen ließ. Die Tiere nahmen über die Haut besagte Giftstoffe auf, die durch den Regen von dem Deponiegelände auch auf die benachbarten Grundstücke ausgeschwemmt worden waren. Kessler wies in seinem Antwortschreiben jede Verantwortung von sich und verwies auf eine entsprechende Bodenanalyse, die Schadstofffreiheit dokumentierte. Die Reaktion des Landwirtes darauf war ein Brief, in dem er kein Blatt vor dem Mund nahm. Verbale Drohungen in jedem zweiten Satz. Datum vierzehn Tage vor Kesslers Tod.
Ein Gespräch mit dem Mann schien Ellen angebracht. Sie würde nach Düpow hinausfahren, um sich einen Eindruck vom Ganzen zu machen. Vorher aber würde sie sich wie geplant Simone Bergrath vornehmen. Die hatte nachweislich gelogen, und für eine Lüge gab es immer einen Grund.
Da Marco unterwegs war, legte Ellen einen Zettel auf seinen Schreibtisch und machte sich auf den Weg. Sie nahm ihren eigenen Wagen, denn so konnte sie zwischendurch schnell in irgendeinen Supermarkt springen. Wer wusste schon, ob sie heute pünktlich Feierabend machen konnte. Hunger würde sie aber ganz sicher haben, wenn sie nach Hause kam. Sie könnte sich natürlich eine Pizza bestellen, aber das würde sie nur an Dana erinnern, und das wollte Ellen zuallerletzt.
»Frau Doktor Bergrath ist bei der Visite«, erfuhr Ellen auf der Station. »Sie können sie jetzt nicht sprechen.«
»Ich muss.« Ellen zeigte ihren Ausweis. »Frau Doktor hat doch sicher Assistenzärzte, die das übernehmen können.«
Die Stationsschwester besah kritisch Ellens Ausweis. »Ich piepe Frau Doktor an«, sagte sie.
Es vergingen ein paar Minuten, und Simone Bergrath erschien. »Sie?« Ihr Blick drückte alles andere als Wiedersehensfreude aus.
»Frau Bergrath, wir müssen uns noch einmal unterhalten.«
»Gehen wir ins Schwesternzimmer.« Simone Bergrath winkte Ellen kühl, ihr zu folgen.
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