Partnerin wider Willen
In besagtem Zimmer bedeutete sie dem einzigen anwesenden Pfleger mit einem Blick, sie beide allein zu lassen. Ihr »Was gibt es denn?« klang steif.
Ellen registrierte die abwehrende Haltung der Frau und war sich sicher: Sie verbarg etwas. »Frau Bergrath. Sie haben mich angelogen. Sie hatten ein Verhältnis mit Karl Kessler. Ich habe mehrere Aussagen, die das bestätigen.«
»Ach ja?«
»Eine ganze Restaurantbelegschaft. Kessler und Sie nahmen mehr als ein romantisches Dinner zusammen ein.«
»Na, und wenn schon. Dann habe ich eben gelogen.«
»Es geht um einen Mord, Frau Bergrath. Mit einer Lüge machen Sie sich verdächtig.«
»Nur weil ich die Affäre mit Kessler verschweige, habe ich ihn umgebracht? Aus reiner Neugier: Habe ich auch ein Motiv?«
»Herr Kessler war nur oberflächlich ein charmanter Mann. Sie haben das bald gemerkt und wollten ihn verlassen. Er ließ das nicht zu, hat Sie bedrängt. Sie wussten sich nicht anders zu helfen, als ihn mit K.-o.-Tropfen mattzusetzen. Möglicherweise haben Sie sich bei der Dosierung vertan, und dann bekamen Sie Panik.«
Simone Bergrath lächelte mitleidig. »Ist das Ihre Theorie? Ziemlich mager.«
»Oder Sie haben gelogen, um Ihren Verlobten, Herrn Gruber, zu schützen. Ihre Affäre mit Kessler stärkt sein Motiv.«
»Alles reine Spekulationen. Oder können Sie irgendetwas davon beweisen?«
Ellen verzog den Mund. Das war der Haken. »Noch nicht.«
»Dann verstehe ich ehrlich gesagt nicht ganz, was Sie von mir wollen.«
»Wissen, wo Sie Donnerstag und Freitag letzte Woche waren.«
»Das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Meine Schwester hat Donnerstag geheiratet. Freitag haben meine Mutter und ich die Spuren des Festes im Haus beseitigt. Abends waren wir so knülle, dass wir vorm Fernseher einschliefen.«
»Na wunderbar. Ein Fest, auf dem niemand den anderen die ganze Zeit im Auge behalten kann. Und ein Tag mit Aufräumarbeiten, an dem sich doch wohl zumindest Ihre Mutter sicher auch mal für eine Stunde hingelegt hat, um sich auszuruhen.«
Simone Bergrath schaute Ellen an. »Meine Schwester wohnt in Rostock«, fügte sie knapp hinzu.
»Schön. Aber es bleibt die Tatsache, dass diese Affäre Herrn Grubers Motiv verstärkt.«
Die Stimme der Ärztin verlor ihre Selbstsicherheit. »Axel würde nie einen Menschen umbringen. Zu so was ist er nicht fähig.«
»Er war fähig, Kessler in seinem Büro zu schlagen.«
»Kessler spielte Axel schwer mit. Und dann habe ich ihn auch noch verlassen. Da kann man schon mal die Nerven verlieren.«
»Mein Reden. Ein erlittenes finanzielles Desaster und Eifersucht – gleich zwei klassische Motive für einen Mord.«
»Wofür Sie, ich wiederhole mich, keine Beweise haben. Und Sie werden auch keine finden.« Simone Bergrath trat einen Schritt auf Ellen zu. »Axel und ich, wir haben mit Kessler abgeschlossen«, erklärte sie mit fester Stimme. »Wir haben uns versöhnt. Jetzt wollen wir Kessler einfach nur aus unserem Leben verbannen, aus unseren Köpfen. Wir wollen neu anfangen . . . wir haben neu angefangen. Lassen Sie uns bitte in Ruhe. Kessler hat uns genug angetan. Soll er uns jetzt auch noch nach seinem Tod das Leben schwermachen?«
Ellen hatte genau zugehört. »Uns?«, fragte sie. »Kessler hat Herrn Gruber arg mitgespielt, das wissen wir. Was hat er Ihnen angetan?«
Simone Bergrath biss die Zähne zusammen. Die Sekunde, die sie zögerte, verriet Ellen, dass die Antwort der Ärztin eine Lüge sein würde.
»Uns als Paar.«
Ellen nickte und beendete das Gespräch mit der Ärztin. Aus der Frau bekam sie im Moment nicht mehr heraus.
Auf dem Weg zu ihrem Wagen telefonierte Ellen mit Marco. Der war noch einmal bei Ben Kessler, dem Sohn, weil dieser ihn angerufen und um einen Besuch gebeten hatte.
»Und? Was hast du Neues?«
»Halt dich fest. Der Sohn hat mir ein paar Fotos gezeigt. Ich glaube, wir müssen in eine ganz neue Richtung ermitteln.«
»Was ist denn auf den Fotos?«
»Sie zeigen Kessler und eine weitere Person. Beide schleppen einen leblosen Körper durch den Wald. Die Aufnahmen sind zehn Jahre alt.«
»Bitte was?« Ellen brauchte einen Moment, um die Neuigkeit zu verdauen. »Und damit kommt er erst jetzt?«, rief sie dann.
»Was willst du machen?«, hörte sie Marcos resignierte Stimme. »Ich fahre jetzt mit Ben Kessler in den Wald, wo das Ganze stattgefunden haben soll. Vielleicht erkennt er die Stelle wieder, und wir finden die Leiche. Was davon übrig ist. Anschließend bringe ich ihn mit
Weitere Kostenlose Bücher