Partnerin wider Willen
verwirrt und verängstigt. Ich malte mir die schlimmsten Horrorgeschichten aus. Später wurde mir klar, das Ganze konnte nur einen Hintergrund haben.«
»Und der wäre?«
»Mein Vater beschäftigte viele Arbeiter aus Osteuropa. Die hatten nicht immer die notwendigen Papiere.«
»Sie glauben, Ihr Vater und ein Komplize entsorgten einen illegalen Arbeiter im Wald?«
»Haben Sie eine bessere Erklärung? Der Mann hat sicher Schwierigkeiten gemacht – und sei es nur die, dass er einen Arbeitsunfall hatte. Natürlich konnte er nicht ins Krankenhaus gebracht werden. Dort hätte man gefragt, wie es zu dem Unfall kam und wo. Und vor allem, wo er versichert ist. Mein Vater hat den Mann lieber sterben lassen.«
Marco und Ellen sahen sich an. Das gab dem Fall eine neue Wendung.
»Warum kommen Sie ausgerechnet jetzt mit der Sache zu uns, Herr Kessler?«, fragte Ellen.
»Ich weiß, ich hätte Ihnen das gleich zeigen müssen. Genaugenommen hätte ich schon vor zehn Jahren zur Polizei gehen müssen. Aber bis heute konnte ich nicht gegen meinen Vater ankommen. Selbst nun, wo er tot ist, fällt es mir schwer. Auch weil ich meine Mutter schützen will. Und mich natürlich und meine Schwester. Die Dinge werden nicht leichter werden, wenn sich herausstellt, dass mein Vater ein Mörder war.«
Ben Kessler war gegangen.
Marco saß in seinem Sessel. Die Arme über den Bauch gelegt, die Beine von sich gestreckt, schaute er Ellen an.
»Die Fotodateien sind bereits bei unserem Computerfachmann«, sagte Marco. »Vielleicht gelingt es ja, von dem zweiten Mann etwas mehr sichtbar zu machen als auf den Ausdrucken.«
»Und wieder ist der Kreis der möglichen Täter größer geworden«, stellte Ellen lakonisch fest. »Ein mysteriöser Unbekannter aus alter Zeit, der einen Mitwisser loswerden wollte. Das fehlte gerade noch.«
»Nach so langer Zeit?« Marco war skeptisch. »Ich tippe mehr, dass einer von Kesslers heutigen Partnern in dieser Sache die Nerven verloren haben könnte. Oder glaubst du, Kessler hat nach der Sache von damals das Schwarzarbeitergeschäft aufgegeben?«
»Neeeee. Immer vorausgesetzt, diese Theorie trifft zu.«
»Ich auch nicht.«
»Wie auch immer, wir müssen die Vermisstenfälle von vor zehn Jahren durchgehen und sehen, ob unser Skelett von heute irgendwie zu einem davon passt. Kannst du das machen? Ich wollte nach Düpow fahren. In den Akten bei Gerstäcker habe ich was Interessantes gefunden. Da gibt es einen Landwirt, der einen Streit mit Kessler hatte.«
»Ha«, lachte Marco sarkastisch. »Wer nicht?«
Die Spinett-Melodie von Miss Marple ertönte. Ellen tastete nach ihrem Handy. »Reuter«, meldete sie sich.
»Wo sind Sie gerade?«, fragte Dana aufgekratzt. »Danke für die Akte. Und? Was sagen Sie? Ich habe doch gewusst, dass da was im Argen liegt.«
»Mutter! Warte kurz.« Ellen legte die Hand übers Handy, verdrehte demonstrativ die Augen und hoffte, dass Marco glaubte, sie sei eine hart geprüfte Tochter. »Ich hol mir ’nen Kaffee. Soll ich dir einen mitbringen?«, fragte sie Marco und stand auf. Bei dem Gespräch mit Dana wollte sie lieber keinen Zuhörer haben, und der Kaffeeautomat stand auf dem Gang.
Marco nickte. »Mit Zucker und Milch.«
Draußen hob Ellen das Handy wieder ans Ohr. »Sie erschrecken mich noch mal zu Tode.«
Dana gluckste nur, dann sprudelte es aus ihr hervor. »Als ich ›Giftstoffe‹ las, klingelte es bei mir. Da gab es vor ein paar Wochen diesen Fleischskandal. Cadmiumbelastetes Biofleisch.« Kurzes Zungenschnalzen. »Leider eine Story, die die Konkurrenz schrieb.« Seufzen. »Na ja. Das Cadmium lagerte jedenfalls in Fässern auf einer Deponie.«
»In dem Brief des Landwirtes stand was von einer Deponie in der Nachbarschaft«, erinnerte sich Ellen.
»Die Fässer waren rostig und damit undicht geworden. Cadmium entsteht als Nebenprodukt bei der Zinkverhüttung. Aber Zinkhütten gibt es kaum noch. Die Abfälle waren wahrscheinlich jahrzehntealt.«
»Und wie viele solcher Deponien gibt es wohl in Perleberg und Umgebung?«
»Genau. Also? Fahren wir nach Düpow?«
»Oh, tut mir leid. Ich bin schon halb auf dem Weg«, log Ellen. »Sie waren ja nicht im Büro, und da . . .«
Danas Kichern unterbrach Ellen.
»Was ist denn?«, fragte sie irritiert.
»Warum steht Ihr Wagen vor dem Präsidium, wenn Sie auf dem Weg nach Düpow sind?«
Verdammt! Dana stand draußen! »Ich . . . bin mit einem anderen Wagen unterwegs.«
»Na gut. Dann gehe ich mal hoch in Ihr Büro
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