Partnerschaft und Babykrise
während ihres Studiums kennenlernt. Karl ist der Sohn eines Alkoholikers, der seine Fassade als Studienrat mühsam genug bis zur Frühpensionierung aufrechterhalten konnte, von der Mutter wegen seines Alkoholismus in der Familie entwertet, nach außen hin aber energisch beschützt. Karl ist sehr liebevoll, sanft, er verehrt Ingeborg und behauptet, sie habe ihn von der Depression geheilt, die ihn vor der Bekanntschaft mit ihr in seiner akademischen Laufbahn blockierte.
Seit er Ingeborg kennt, geht es ihm viel besser. Sie unterstützt ihn, stärkt ihm den Rücken, gibt ihm das Gefühl, seinen Mann zu stehen und nicht angesichts der kleinsten Unzufriedenheit
seiner Kollegen oder seines Chefs einzuknicken. Ähnlich blüht auch Ingeborg auf, die bisher darunter gelitten hat, dass die von ihr geliebten Männer sie zwar als Gesprächspartnerin schätzten, aber andere Frauen begehrten und sie nur als gute Freundin in ihren Beziehungskonflikten zurate zogen.
Die Symbiose von Ingeborg und Karl wirkt auf Außenstehende wie eine besonders glückliche und erfolgreiche Beziehung. Die beiden streiten sich nie, sie lesen sich Wünsche von den Augen ab, erzählen sich alles, Ingeborg ist beruflich ebenso erfolgreich wie Karl; Karl ist – anders als die Männer in der Umgebung – ein guter Koch, der nachher auch die Küche perfekt sauber macht und ohne Diskussionen die Hälfte der Hausarbeit erledigt.
Anfangs waren sich Karl und Ingeborg auch einig, dass Kinder nicht so wichtig für ihre Liebe seien, sie könnten gut darauf verzichten, wollten jetzt erst noch die Zweisamkeit genießen. Als dann aber ein befreundetes Paar nach dem anderen Nachwuchs bekommt und Ingeborg einen Karriererückschlag erlitten hat, weil sie sich nicht von Karl trennen und eine Führungsposition im Ausland antreten wollte, wünscht sich auch Ingeborg ein Kind. Sie will dann für ein paar Jahre aufhören zu arbeiten. Karl ist inzwischen so erfolgreich, dass sein Gehalt gut für drei reicht, außerdem hat sie einen Anteil am Firmenerbe, der sie finanziell unabhängig macht, wenn sie ihn verkauft.
Das erste Kind hatte Ingeborg noch nach dem Motto »einmal ist keinmal« als vorübergehende Unterbrechung ihrer Lebenspläne angesehen. Sie wünschte sich ein zweites, denn sie hatte immer darunter gelitten, dass sie keine Geschwister hatte. Karl, der unter Ingeborgs sexuellem Rückzug und ihren Vorwürfen
gelitten hatte (er entlaste sie zu wenig, sie brauche einen Vater für den Alltag, keinen Luxus- und Vorzeigepapi, der sonntags ein Menü kocht und mit der Tochter schwimmen geht), freut sich über ihr neues sexuelles Interesse. Er will nichts ändern, sie soll sich ändern, sie soll durch das zweite Kind endlich eine zufriedene Hausfrau werden. Dass Ingeborg beruflich wieder einsteigt, kann sich Karl nicht vorstellen. Sie hat in der IT-Branche gearbeitet. Da ist ein Jahr so viel wie fünf Jahre in einer anderen Branche. Sie müsste sich ganz neu orientieren. Ingeborg ist sich unsicher, ob sie das schafft. Karl verstärkt ihre Unsicherheit. Beide reden sich zu, zwei Kinder würden sich miteinander beschäftigen und Ingeborg könnte dann in die frühere Harmonie mit Karl zurückfinden.
Aber dann glaubt Ingeborg zu entdecken, dass zwei Kinder viermal so viel Arbeit machen wie eines, weil es ständig Streit zu schlichten gibt und jedes das andere mit allen Viren versorgt, die sich nur auftreiben lassen. Karl kommt spät nach Hause, behauptet, ganz kaputt zu sein, muss unbedingt einen aufwendigen Kurs an jedem zweiten Wochenende machen und überlässt Ingeborg die ganze Organisation des Hausbaus in einem Vorort. Die idealisierte Liebesbeziehung ist jetzt eine Fata Morgana, lang vergangen oder in ferner Zukunft, während sich im Alltagsweg Stein- und Sandwüste ablösen. Wenn erst beide Kinder im Kindergarten sind! Wenn erst das Haus fertig ist! Wenn wir erst wieder einmal richtig in Urlaub fahren können! Ingeborg arbeitet im Elternbeirat eines anthroposophischen Kindergartens und will mit anderen Eltern eine eigene Schule gründen. Karl findet das alles viel zu esoterisch, ist aber so wenig zu Hause, dass er sich lieber nicht einmischt. Sexuell finden
sich beide kaum mehr. Unausgesprochen ist Ingeborg überzeugt, dass Karl »sowieso immer zu müde ist«, während Karl glaubt, dass Ingeborg seit der zweiten Schwangerschaft jedes Interesse an Sex verloren hat.
Beide wollen keine Kinder mehr. Ingeborg hat die Pille abgesetzt. Karl findet Kondome peinlich; er geht
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