Partnerschaft und Babykrise
Verliebtheitsillusion geplatzt ist, scheint mir noch viel besser dran als die Paare, welche sich weder von dieser Illusion verabschieden noch sie erhalten können. Es entstehen Streit-Ehen vom Typus »Keine Angst vor Virginia Woolf«, dem Theaterstück von Edward Albee. Sie lassen sich so erklären, dass aus dem einen magischen Zirkel zwei geworden sind, die nun buchstäblich in den Stoff der Beziehung schneiden. Jeder der Partner hält an seiner Phantasie fest, wie sein Gegenüber »eigentlich« ist/zu sein hat/versprochen hat zu werden.
Julia, Stewardess, 23 Jahre alt; Walter, Student, 22 Jahre alt, kommen beide aus Problemfamilien: Sein Vater, Alkoholiker, hat die Familie früh verlassen; ihre Eltern haben ständig gestritten. Als Julia 19 Jahre alt war, starb ihr Vater an einem »Bergunfall«, wahrscheinlich einem verdeckten Suizid.
In der Verliebtheit umgibt beide der magische Ring. Sie fühlen sich stark. Julia unterstützt Walter finanziell während des Studiums und ermöglicht ihnen beiden Traumreisen. Er übernimmt die Versorgerrolle, sobald er fertig studiert hat, sie kann jetzt zu Hause bleiben und das Wunschkind empfangen.
Das Paar ist überzeugt, dass Julias Mutter »böse« ist und der kleinen Familie nichts zu sagen hat, während Walters verwitwete Mutter »gut« ist und zu allen Festen eingeladen wird. Zehn Jahre später wird die Ehe nur noch durch die beiden Töchter zusammengehalten. Julia hat heftige Aggressionen gegen Walters Mutter entwickelt, die sie erst so sehr einbeziehen wollte.
Diese Frau darf nicht mehr in das gemeinsame Haus, sonst lässt sie sich scheiden! Sie fühlt sich von Walters Mama entwertet. Die Schwiegermutter sabotiert ihren gesunden Haushalt, ignoriert Julias Vorgaben, wenn sie die Enkel betreut, kocht zu fett und steckt den Kindern Schokolade zu. Walter sei ein Muttersöhnchen, mache es sich bequem, suche den Weg des geringsten Widerstands, rutsche, wenn es ihm gerade passe, gleich zu einer anderen Frau ins Bett.
Walter hat eine heimliche Liebschaft, in der er sich viel freier fühlt als in seiner Ehe mit der sexuell spröden Julia. Er macht ihr leise Vorwürfe, dass sie seine arme alte Mutter an Weihnachten alleine feiern lässt, ist am Wochenende von seiner Berufsarbeit erschöpft und blüht auf dem Weg ins Büro auf. Er ist dick
geworden. Julia besteht auf dem Vollkornmüsli zum Frühstück; Walter hält auf dem Weg ins Büro bei seinem Lieblingsmetzger und nimmt zwei Leberkäsesemmeln mit.
Als Walter wegen seiner Depressionen eine Therapie begann, erschien zu einem Sitzungstermin Julia. Sie entschuldigte ihren Mann, er leide an einer Grippe, statt abzusagen, habe sie seinen Termin übernommen. Er sei auch einverstanden, wenn sie dem Therapeuten erkläre, wie ihre Sicht der Dinge sei.
Man kann den magischen Kreis des verliebten Paares als Magen sehen, der die Aufgabe hat, zu verdauen, was von einem der Beteiligten in den Kreis eingeführt wird. Er soll es aus etwas Fremdem in etwas Gemeinsames verwandeln. Wie ein überlasteter Magen in Kolik und Krampf dem Organismus ebenso viel Schmerz bereiten kann, wie ein wohlig gefüllter Entspannung und Kraft, so wird das eingeführte Fremde ein Paar bereichern und nähren oder aber zu Schmerzen und Ausscheidungsreaktionen führen.
Auch in der physischen Verdauung werden Stoffe in ihre Bestandteile zerlegt. Ebenso verdeutlichen die Prozesse in der symbiotischen Einheit, welche Komponenten des Partners sozusagen spaltbar sind. Jede Tugend wirft einen Schatten. Der Volksmund hat in seinen Schwiegermutterwitzen scharfsinnig erfasst, dass die sprühende Energie der schönen Braut bei der Schwiegermutter wie brutale Machtgier erscheint, die sanfte Bescheidenheit aber als Trägheit und Indolenz.
Klaus ist mit seiner Schwester Erika in einem bürgerlichen Haushalt herangewachsen. Sein Vater hat sich bis ins mittlere
Management hochgearbeitet und versuchte vergeblich, noch weiter aufzusteigen. Er wurde schließlich wegen seiner Unfähigkeit kaltgestellt, die Kränkung zu verwinden, dass ein jüngerer Mitarbeiter befördert worden war und er nicht. Die letzten Berufsjahre verbrachte er als Nörgler, der in Alkoholexzessen seine Familie tyrannisierte.
Seine Frau stritt sich oft mit ihm und entwertete ihn vor den Kindern, die sie als Bundesgenossen zu gewinnen suchte. Es gelang ihr, Klaus auf ihre Seite zu ziehen; Erika, vier Jahre älter als der Sohn, verteidigte den Vater.
Während Klaus studierte, heiratete Erika gegen den
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