Partnerschaft und Babykrise
Dort lernte er seine spätere Frau Ingrid kennen. Auch Mario verliebte sich nicht nur in eine Frau, sondern vor allem in deren Elternhaus.
Die Mutter seiner Verlobten schien ihren Mann anzubeten. Sie hatte keinen Führerschein. Der Vater musste sie überall hinkutschieren. Sie musste ihn immer wieder darum bitten, bedankte sich und lobte ihn als einen großartigen Autofahrer.
Mario, der als Kind unter seiner dominanten, den Vater entwertenden Mutter gelitten hatte, fand das Beispiel dieser Schwiegermutter rührend. Er ahnte nicht, wie sehr eben diese Szenen Ingrid abstießen, die schon mit siebzehn ihre ersten Fahrstunden genommen hatte und einmal ihre Mutter angeschrien hatte, sie denke gar nicht daran, ihren Chauffeur zu spielen. Sie war durch die Bevorzugung des Bruders und die in ihren Augen demonstrative Schwäche der Mutter chronisch gekränkt.
So wollte Ingrid einen Mann, der sie nicht einengte, sondern ihr eine neue Welt öffnete. Die Ehe geriet in eine Krise, als Ingrid immer vorwurfsvoller wurde, weil Mario Tag und Nacht arbeitete, um möglichst bald ein Haus kaufen zu können, das ebenso schön war wie das seiner Schwiegereltern. Sie verweigerte sich sexuell, er fand trotz aller Plackerei die Zeit, die eine oder andere Geliebte zu erobern.
Mario konnte sich Ingrids Enttäuschung nicht erklären, so wenig wie sie seinen Rückzug verstand. Nur die beiden Kinder hielten das Paar noch zusammen.
Die Schwiegereltern, die Mario anfangs so bewundert hatte, waren für ihn gestorben, als der Schwiegervater einmal angesichts
einer Unpünktlichkeit des Paares hinwarf, in Brasilien sei das vielleicht normal, in Deutschland aber nicht. Dabei war nicht Mario für das Zuspätkommen verantwortlich, sondern Ingrid. Als Reaktion auf das deutsche Stereotyp des Brasilianers hatte sich Mario angewöhnt war, absolut pünktlich und genau zu sein; er zahlte jede Rechnung an dem Tag, an dem er sie erhielt.
Das Prinzip Austausch
»Mit Mühe endlich hatte sich Zeus etwas ersonnen
und sagte: Ich glaube nun ein Mittel zu haben,
wie es noch weiter Menschen geben kann und sie doch
aufhören müssen mit ihrer Ausgelassenheit,
wenn sie nämlich schwächer geworden sind.«
Platon, Symposion, 190.c
Platon erzählt im Symposion von den Kugelwesen, deren Kraft die Götter so sehr bedroht, dass diese eine grausame Abwehr ersinnen. Sie schneiden die Vor-Menschen in zwei Teile »wie Eier mit Haaren«. So entstand die kräftezehrende Sehnsucht der gegenwärtigen Menschen, sich mit der verlorenen Hälfte zu vereinen.
Die Ahnen vermehrten sich wie die Zikaden, indem sie Eier in die Erde legten. Da es drei Sorten gab, die Weiblichen, von der Erde, die Männlichen, von der Sonne, und die Mannweiblichen vom Mond, gibt es Frauen, die sich mit Frauen vereinigen wollen, Männer, die das mit Männern tun möchten,
und schließlich auch Frauen und Männer, die sich nach etwas sehnen, das anders ist als sie.
Die psychologische Forschung hat Platons Mythos sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellt. Um einen wesentlichen Bestandteil – die grenzenlose Sehnsucht nach einer illusionären Einheit – kommt auch sie nicht herum. Sie spricht von der Sehnsucht nach Symbiose, Verschmelzung, Spiegelung, Anlehnung, Idealisierung und meint damit, dass die Bereitschaft des Menschen, zu sehen, was er sich wünscht und zu glauben, es sei tatsächlich da, sich vor allem in den erotischen Bedürfnissen manifestiert.
In Wahrheit ist der Gegensatz von »Phantasie« und »Realität« ein Kunstprodukt, das durch Eigenheiten der neuropsychologischen Grundlagen unserer Orientierung erzeugt wird. Unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit ist immer auch Phantasie. Sie beruht auf einem Korrekturprozess, in dem die eine Hälfte des Gehirns dramatische Entwürfe der anderen Hälfte zurechtrückt und die Kooperation beider ein Bild der Welt schafft, das nicht im Spiegel-Sinn realistisch ist, sondern die Welt für unsere Praxis zurichtet.
Wie die menschliche Wahrnehmung, Kreativität und viele andere wesentliche Merkmale ist auch unser Kontaktverhalten auf einem Dialog von kühnem Entwurf und kritischer Verfeinerung aufgebaut. Auch dieser scheint eine Grundlage in den unterschiedlichen Funktionen der beiden Gehirnhälften zu haben, von denen beim Rechtshänder die linke Hemisphäre für die kritische Beobachtung und Versprachlichung zuständig ist, die rechte aber für Intuition und schnelle, emotionale Reaktionen.
Die kontaktstiftende Funktion ist das schnelle, »intuitive«
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