Partnerschaft und Babykrise
mächtiger ist die Sehnsucht nach einer idealen, perfekten
Liebe – und desto ohnmächtiger fühlen sich die Betroffenen angesichts der Aufgabe, die Kränkungen des Liebesalltags zu verarbeiten.
Das Kind wird dann einerseits zum Symbol für diese ideale Liebe, andererseits zum Konkurrenten, gegen den ein Erwachsener keine Chance hat. Das wichtigste Medium, in dem sich die menschliche Kränkungsverarbeitung festigt, ist der Austausch – der körperliche, emotionale, semantische und schließlich sprachliche Dialog zwischen dem Kind und den Eltern.
Wer sich empathisch gebunden fühlt, wird sich bemühen, in diesem positiv geladenen Beziehungsfeld zu bleiben. Erst wenn dessen Grenzen überschritten sind, sehen sich Liebende mit jenen Aufgaben konfrontiert, die wir »Erziehung« nennen und die bei Kindern nicht selten, angesichts eines erwachsenen Liebesobjektes aber meistens scheitern. Wenn wir meinen, Kinder erziehen zu müssen oder einen Partner nach unseren Vorstellungen durch Zuckerbrot und Peitsche verändern möchten, haben wir die Erfolg versprechenden Einflussmöglichkeiten schon verpasst.
Wer selbst gerne gibt, kann sich auch gut vorstellen, dass er auf eine Bitte hin etwas bekommen wird. Der verinnerlichte Austausch trägt unsterblich-banale Äußerungen, wie »C’est tellement simple l’amour.« 11 Die Liebe ist ganz einfach, wenn klar ist, dass ein Wunsch nach Zärtlichkeit und Nähe gut ist, den Wünschenden attraktiv macht, einen von Einfühlung bestimmten Austausch einleitet.
Je ausgeprägter die narzisstische Verletzung, desto schwerer fällt es, diesen Wunsch angstfrei zu erleben und spontan
zu äußern. Er drückt einen Mangel in der Grandiosität aus.
Was muss das für ein klägliches Ich sein, das etwas nicht hat und darum bitten muss! Der narzisstische Neid kann deshalb kaum geheilt werden, weil er die aggressive Energie im Überschuss produziert, die ihn erzeugt und aufrechterhält. Wer von diesem Neid erfüllt ist, wird fast verrückt vor Sehnsucht nach den Beziehungen oder den Dingen, die er nicht hat.
Wer Liebesbeziehungen angstfrei erlebt und in ihnen ohne übermäßige Kontrollbedürfnisse geben und nehmen kann, gleicht einem Matrosen, der beruhigt segelt, weil er weiß, dass zwar ein wenig Wasser in sein hölzernes Schiff dringt, aber die Pumpen zuverlässig genug sind, dieses zu entfernen. Er findet kleine Missverständnisse und Kränkungen in der Liebe normal.
Wer sich aber nach der symbiotischen, ganz sicheren Liebe sehnt und gleichzeitig nicht an diese glauben kann, kontrolliert ständig den Schiffsrumpf und sondiert alle verdächtigen Stellen, weil ihm jeder Wassertropfen den Untergang ankündigt. Feuchte Stellen prüft er so intensiv auf ihre Durchlässigkeit, bis tatsächlich eine Planke bricht. Es gibt für ihn keine kleinen Abweichungen von einem Liebesideal, sondern nur katastrophale.
Die Individualisierung
Die Symbiose des Liebespaars ist eine Folge kultureller Veränderungen, die mit dem Schlagwort »Individualisierung«
verbunden werden. Ein erster Individualisierungsprozess begann, als die Industrialisierung die bäuerlichen und handwerklichen Traditionen auflöste, die Arbeitsteilung erweiterte und die sozialen Bindungen schwächte. Solche Prozesse haben bereits Gründerväter der Soziologie wie Georg Simmel (mit dem Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft ) 12 und Emile Durkheim beschrieben.
Der Zerfall traditioneller Bindungen befreit die Selbstbestimmung des Individuums. Dieses definiert sich durch seine persönliche Leistung, nicht durch Tradition nach dem Modell »Bauer, Bürger, Edelmann«. Im Zug dieser Individualisierung entwickelte sich auch die Liebesehe als kulturelles Leitmotiv gegenüber der traditionellen, von Sippen oder Familien arrangierten Ehen.
Anthony Giddens 13 und Ulrich Beck 14 beschreiben ein zweites, das erste überlagernde Vereinzelungsgeschehen seit Ende der 1950er Jahre. In der postmodernen Gesellschaft habe sich der Individualisierungsprozess radikalisiert und universalisiert. Zentrale gesellschaftliche Zuordnungen wie Arbeiterklasse veralten.
Während im Mittelalter die gesamte Kultur von einer Wir-Identität bestimmt war, brach diese während der Renaissance auf. Die Humanisten benutzten die antike Tradition, um sich von der kirchlichen Übermacht zu distanzieren. Martin Luther setzte die kritische Position des individuell die Bibel studierenden Gelehrten durch. Parallel dazu wertete die Portraitmalerei (Dürer, Mantegna) das
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