Party Girl - Roman
Verena und knuffte sie in die Seite.
»Die vererben sich leider nicht dominant«, rief Marcia. Alle kicherten durcheinander.
Mona rollte mit den Augen. »Lasst mich«, sagte sie. »Lasst mich mal einen Augenblick zufrieden, ja?«
Die anderen wandten sich sofort von ihr ab. Es war nicht so, dass Mona das wichtigste Mädchen in der Gruppe war oder in der Klasse. Das war ganz klar Verena. Mona wusste, dass die anderen sie nett und unkompliziert fanden, aber weil sie sich eben nicht für die IN-Themen interessierte (wie Partys, Klamotten etc.), gehörte sie auch nicht wirklich dazu.
Sie ließen Mona stehen, hakten sich beieinander ein und gingen weiter.
Weil Mirkos Augen sie immer noch fixierten, hob Mona vorsichtig die linke Hand. Unter dem rechten Arm klemm te ihre Tasche.
Mirko winkte nicht zurück, er erhob sich, ganz langsam, wie beiläufig und extrem lässig, so, als habe es nichts zu be deuten, dass er jetzt aufstand und einem Mann Platz mach te, der eine prall gefüllte Plastiktüte bei sich trug.
Mirko ließ das Handy in der Tasche seiner Fleecejacke verschwinden und trat aus dem Wartehäuschen heraus in die grelle Sonne.
Sein Gesicht sah auf einmal sehr hell aus, fast weiß, und die tiefen Augenringe gaben ihm etwas Gespenstisches.
Aber das hielt nur an, bis sie sich ganz nah gegenüberstan den, im Schatten einer Pappel, durch deren Zweige das Son nenlicht bunte Flecken auf sie warf. Auf ihre Gesichter, ihr Haar, ihre Kleidung, und alle anderen Eindrücke verwisch te.
»Hi«, er verzog sein Gesicht zu einem angedeuteten Grin sen, »long time no see.«
Mona lachte. Sie war glücklich, dass Mirko da war, aber sie wollte ihm dieses Glück nicht so deutlich zeigen, deshalb ließ sie das Lachen schnell wieder von ihrem Gesicht verschwinden und blickte ernst. Dabei wollte sie ihm am liebsten sagen, dass sie ihn vermisst und seit Tagen hier auf ihn gewartet hatte, aber nicht nur hier, sondern auch vor ihrem Haus, jedes Mal, wenn sie von der Schule oder dem Sport oder irgendeiner anderen Veranstaltung nach Hause gekommen war.
Sie hatten sich am Mittwoch, dem 10. September getrof fen und jetzt war schon Ende September. Zwei Wochen und zwei Tage lagen zwischen diesen beiden Begegnungen. Eine Ewigkeit.
Ihre Mutter drehte gerade in Prag. In Theresienstadt. Und auf einem Studiogelände, wo die Straßen so aussahen wie während des Zweiten Weltkriegs, die Männer SS-Unifor men trugen und die Frauen halb verhungert waren.
Charlotte hatte vorgeschlagen, dass Mona nachkommen sollte für zweieinhalb Tage. Die Produktionsfirma hätte ein Flugticket organisiert, Mona hätte sich Prag anschauen kön nen, hätte abends mit ihrer Mutter und dem Filmteam in schicken Restaurants essen und sich mit allen später in ei nem Café oder in der Hotelbar amüsieren können. Das Filmvolk war ein freundliches, lustiges Volk, und während eines Films waren sie immer alle eine große Familie, beson ders die Leute, die hinter der Kamera arbeiten wie Beleuch ter und Tontechniker, wie Kameramänner, Maskenbildne rinnen oder Scriptgirls, Produktionsleiter und Regieassi stenten.
Aber Mona hatte abgelehnt. Sie wusste, dass sie dann auch nach Theresienstadt hätte fahren müssen, weil Charlotte (sie spielte eine Jüdin, die ihre Kinder vor der Gaskam mer retten wollte) es von ihr verlangt hätte. Aber Mona hatte sich immer noch nicht von der Klassenfahrt nach Auschwitz erholt. Die hatte sie zutiefst deprimiert. Ihre Mutter sah das anders. Ihre Mutter wich keinem Drama aus, verdrängte nie irgendetwas.
Im Grunde passen Mama und ich nicht zusammen , hatte Mona schon oft gedacht. Aber was soll’s. Sie ist meine Ma ma. Und ich liebe sie. Und sie liebt mich auch.
Mirko stieß ihr den Ellenbogen in die Rippen. »Komm! Das ist deine Bahn! Die kriegen wir noch.«
Mona setzte sich gehorsam in Trab. Die Schultasche fest an die Brust gepresst, spurtete sie hinter Mirko her, der mit großen Sätzen über die Regenpfützen sprang. Es hatte in der letzten Nacht geregnet, doch die Luft war kaum abge kühlt. Eine schwüle Hitze lag wie eine beklemmende Glo cke über der ganzen Stadt, ungewöhnlich für Ende Septem ber. Mona spürte, wie ein feines Rinnsal von Schweißtrop fen ihre Wirbelsäule hinunterrann.
Mirko enterte die Tram und hielt für Mona die Tür auf, er streckte ihr sogar den Arm hin, um ihr zu helfen.
»Danke«, keuchte Mona, als sie die hohen Stufen nahm und Mirko praktisch in die Arme sank. Die Türen schlossen sich, die Bahn fuhr
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