Party Prinzessin
behaupten, »Die Schöne und das Biest« handle von einem entsetzlich entstellten Monster, das ein junges Bauernmädchen entführt und als Geisel hält.
Das ist wieder mal so typisch, dass Grandmère mir die einzige Geschichte kaputtmacht, die ich je von ganzem Herzen geliebt habe.
»Oder«, rief Grandmère über das Raunen im Saal hinweg, »ein Musical über die Kreuzigung eines jungen Mannes aus Galiläa? Ein kleines Singstück mit dem Titel… ›Jesus Christ Superstar‹.«
Man hörte ringsherum, wie alle nach Luft schnappten. Grandmère hatte Lilly den Gnadenstoß versetzt und sie wusste es. Das Publikum lag ihr zu Füßen.
Alle außer Lilly.
»Ich hätte da noch eine Frage«, sagte sie. »Wann soll dieses… äh, Musical eigentlich aufgeführt werden?«
Erst in diesem Moment schaute Grandmère ein bisschen – wenn auch nur ein ganz kleines bisschen – unbehaglich drein. »In einer Woche«, sagte sie, und ich sah ihr deutlich an, dass ihre Selbstsicherheit nur vorgetäuscht war.
»Aber Fürstin!«, rief Lilly über das erneute allgemeine Luftschnappen und Murmeln hinweg – nur Señor Eduardo, der immer noch schlief, reagierte nicht. »Sie erwarten doch wohl nicht von uns, innerhalb von einer Woche ein ganzes Musical auswendig zu lernen und einzuüben? Ich meine, wir sind Schüler – wir müssen auch Hausaufgaben machen. Ich bin zum Beispiel Herausgeberin der schuleigenen Literaturzeitschrift, deren erste Ausgabe nächste Woche erscheint. Ich schaffe das nicht, wenn ich auch noch ein ganzes Stück auswendig lernen muss.«
»Musical«, wisperte Tina.
»Ein ganzes Musical «, korrigierte Lilly sich. »Ich meine, falls ich überhaupt eine Rolle bekomme. Das ist… das ist unmöglich!«
»NICHTS ist unmöglich«, entgegnete Grandmère. »Was wäre denn gewesen, wenn John F. Kennedy gesagt hätte, es sei unmöglich , dass Menschen zum Mond fliegen? Oder wenn Gorbatschow gesagt hätte, es sei unmöglich , dass die Berliner Mauer fällt? Oder wenn ich, als mein verstorbener Gatte den spanischen König und zehn seiner Golfpartner in letzter Minute zu einem Staatsbankett einlud, gesagt hätte, das sei unmöglich ? Damit hätte ich einen internationalen diplomatischen Zwischenfall provoziert! Aber in meinem Wortschatz existiert das Wort ›unmöglich‹ nicht. Ich habe dem Haushofmeister gesagt, er soll noch elf zusätzliche Gedecke auflegen, den Koch beauftragt, die Suppe mit Wasser zu strecken, und beim Pastetenbäcker noch elf zusätzliche Soufflees bestellt. Und das Essen war ein derartiger Erfolg, dass der König und seine Freunde noch drei weitere Abende blieben und an unseren Bakkarat-Tischen hunderttausende von Dollars verspielten – mit denen hungernden Waisenkindern in ganz Genovia geholfen werden konnte.«
Ich habe keine Ahnung, wovon Grandmère redet. Es gibt und gab in Genovia keine hungernden Waisenkinder. Nicht einmal während der Regierungszeit meines Großvaters.
»Habe ich übrigens erwähnt«, sagte Grandmère, deren Blick auf der Suche nach ein paar zustimmenden Gesichtern übers Publikum huschte, »dass diejenigen, die an diesem Musical mitwirken, ein mündliches ›Sehr gut‹ in Englisch erhalten? Ich habe das bereits mit eurer Schuldirektorin abgesprochen.«
Das Gemurmel, das sich anfangs eher skeptisch angehört hatte, klang jetzt freudig erregt, und Amber Cheeseman, die schon aufgestanden war, nachdem sie gehört hatte, in welch kurzer Zeit das Stück geprobt werden sollte, setzte sich wieder an ihren Platz.
»Wunderbar!« Grandmère strahlte. » Bon. Sollen wir jetzt mit dem Vorsprechen beginnen?«
»Ein Musical über eine Frau, die den Mörder ihres Vaters mit ihren eigenen Haaren stranguliert«, murmelte Lilly, die sich Notizen machte. »Jetzt kann mich wirklich gar nichts mehr schocken.«
Sie war nicht die Einzige, die beunruhigt war. Señor Eduardo sah plötzlich ziemlich verstört aus. Ach nein, doch nicht. Er rückte bloß seinen Sauerstoffschlauch zurecht.
»Als Erstes müssen natürlich die Hauptrollen besetzt werden: Rosagunde und der grausame Kriegsherr, dem sie mit ihrem Zopf den Garaus bereitet, Fürst Albion«, verkündete Grandmère. »Des Weiteren brauchen wir Darsteller für Rosagundes Vater, ihre Zofe, den König von Italien, Albions eifersüchtige Mätresse und dann natürlich für Rosagundes tapferen Liebhaber, den Schmied Gustav.«
Sekunde mal – Rosagunde hatte einen tapferen Geliebten? Wieso wird er in den genovesischen Geschichtsbüchern, die ich
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