Party Prinzessin
ich Tagebuch schreibe, statt aufzupassen. Wobei es schon ziemlich kompliziert ist, den Text immer hinter meinem Tagebuch hervorzuziehen, sobald ich mein Stichwort höre.
Das »Stichwort« ist immer der Satz, an dem man merkt, dass man gleich dran ist. Ja, ich hab heute schon eine Menge Theaterausdrücke gelernt.
Grandmère hat zwar den Text von »Zopf!« geschrieben, aber nicht die Musik komponiert. Die stammt von einem gewissen Phil. Phil ist der Typ, der gestern beim Casting die Klavierbegleitung gespielt hat. Grandmère hat ihm einen Haufen Geld dafür gezahlt, dass er ihre Liedertexte für »Zopf!« vertont.
Sie hat erzählt, sie hätte seine Adresse am schwarzen Brett der Musikhochschule entdeckt.
Phil macht allerdings nicht den Eindruck, als hätte er bisher viel Zeit gehabt, den unerwarteten Geldsegen zu genießen. Er saß anscheinend die ganze Nacht wach, um zu komponieren, und sieht nicht so aus, als hätte er den Schlaf bisher nachholen können. Er hat totale Schwierigkeiten, während der Leseprobe wach zu bleiben.
Da ist er übrigens nicht der Einzige. Seit der erste Satz gesprochen wurde (von Rosagunde: »Ach, was für ein Glück es doch ist, in diesem friedlichen, verschlafenen Fischerdorf zu wohnen!« Einsatz: erstes Lied), hat Señor Eduardo seine Augen noch KEIN EINZIGES MAL aufgemacht.
Möglicherweise ist Señor Eduardo tot.
Aber das wäre nicht so schlimm. Dann könnten alle sagen: »Er ist gestorben, während er seiner Lieblingsbeschäftigung nachging«, wie in diesem einen Film, wo das Mädchen vom Baum fällt und sich das Genick bricht, und das ausgerechnet an dem Tag, an dem sie ihr neues Pferd geschenkt bekommen hat.
Oh, doch nicht. Er hat gerade geschnarcht. Also ist er wohl doch nicht tot.
Mist! Ich bin dran:
»Ach, Gustav, ich bitte dich – du bist kein gewöhnlicher Bauer! Die Eisen, die du unseren Rössern anpasst, verleihen ihrem Schritt solche Stärke, und die Schwerter, die du für unsere Soldaten schmiedest, erfüllen sie im Kampf um unser aller Freiheit mit neuem Mut!«
Danach kam JP dran. Er ist echt gar kein schlechter Schauspieler. Und außerdem hab ich gerade gesehen, dass er SEIN Heft auch hinter seinem Text versteckt hat!
Es wäre doch echt voll komisch, wenn ER im selben Moment, in dem ich über IHN schreibe, über MICH schreiben würde, oder? Vielleicht ist JP ich in Jungengestalt. Wir haben wirklich viel gemeinsam – nur dass er kein Prinz ist.
Ich hab mich vor der Probe ein bisschen mit ihm unterhalten (weil mir aufgefallen ist, dass ihn sonst keiner beachtet. Na ja, Boris und Tina haben geknutscht, was sie, seit Boris keine Zahnspange mehr trägt, viel häufiger machen, Lilly hat mit Kenny ihre Änderungen an seinem Zwergstern-Artikel besprochen, Perin hat versucht, Grandmère davon zu überzeugen, dass sie ein Mädchen ist, und Ling Su hat versucht, Amber Cheeseman von mir fern zu halten, worum ich sie gebeten hatte, weil beide im Chor sind), und da hat JP mir erzählt, dass er sich eigentlich nicht für die Schauspielerei interessiert und nur deshalb bei jedem Stück der Theater-AG an der AES vorgesprochen hat, weil seine Eltern die totalen Theaterfans sind und sich immer schon gewünscht haben, dass ihr Sohn Schauspieler wird.
»Dabei würde ich viel lieber Schriftsteller werden«, erzählte JP. »Auch wenn man davon eigentlich nicht leben kann. Trotzdem wäre ich lieber Schriftsteller. Schauspieler geben letzten Endes nur die Sachen wieder, die andere Leute geschrieben haben. Sie haben keine wirkliche Macht. Die wahre Macht liegt in den Worten, die sie sprechen, die aber jemand anders geschrieben hat. Dafür interessiere ich mich. Ich wäre gern die Macht hinter den Julia Roberts und Jude Laws dieser Welt.«
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Das ist echt total verrückt!!!! Weil das genau das ist, was ich auch schon mal gesagt hab!!!! Glaub ich jedenfalls. Außerdem verstehe ich, was das für ein Gefühl ist, unter Druck zu stehen, weil man seine Eltern glücklich machen muss. Ich sage nur: Prinzessunterricht. Ach ja, und dass ich in Geo nicht durchfallen darf, obwohl ich mein geometrisches Wissen später nie mehr brauchen werde.
Das einzige Problem ist, dass JP nie eine Rolle bekommen hat, obwohl er immer vorgesprochen hat. Er glaubt, dass es daran lag, dass die Theater-AG so eine verschworene Gemeinschaft ist und niemanden reinlässt.
»Na gut, wenn ich wirklich gewollt hätte«, sagte er, »hätte ich wahrscheinlich versuchen können, irgendwie in die
Weitere Kostenlose Bücher