Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
stellte sich der Schmerz erst richtig ein, als mir aufging, daß ich mich regelrecht durchbohrt hatte.
     
    An dem Tag, an dem wir die Treppe fertigbekamen, stellte sich die Frage, ob wir die andere abreißen sollten. Ich überlegte einen Moment, dann kam ich zu dem Schluß, daß das Olis Entscheidung war.
    Wir feierten das Ereignis in einem Restaurant von Chatham, danach zogen wir in eine Kneipe. Ich versuchte, ihn zur Feier des Tages ein wenig betrunken zu machen, schloß jedoch auch einen anderen Ausgang nicht aus, wenn ich nicht auf der Hut war.
    Irgendwie tat es mir leid, daß unser Werk vollendet war. Sich treffen, bummeln gehen, Fische fangen oder sonntags eine Runde über die Kirmes drehen, die unter den Bäumen rings um die Kirche stattfand, dabei einen Happen essen und rechts und links herumschnüffeln, das war schon nicht übel. Gemeinsam arbeiten war etwas ganz anderes. Der Bau der Treppe hatte sicher über einen Monat gedauert. Wir hatten ganze Tage, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang völlig in unsere Sache vertieft, miteinander verbracht, ohne irgendwen zu sehen, und ich hatte, indem ich ihn beobachtete, indem ich eine schlichte Bewegung verfolgte, eine Menge über ihn erfahren, erheblich mehr, als wenn er mir zehn Jahre seines Lebens ausführlich erzählt hätte. Natürlich war er nicht so vollkommen, daß ich ihm ein Denkmal errichtet hätte, aber er hatte mir dabei geholfen, gewisse Dinge anders zu sehen, und das zumeist ohne große Worte. Es reichte mir, ihm bei der Arbeit zuzuschauen – die Art, wie er zum Beispiel ein Werkzeug handhabte –, um sowohl zu verstehen, wer er war, als auch Anlaß zu haben, über diese oder jene Haltung nachzudenken, die es im Leben einzunehmen galt.
    An diesem Abend fragte ich mich, ob ich ihm nicht vorschlagen sollte, einen Seitenflügel anzubauen oder das Haus um eine Etage aufzustocken.
    Meine Probleme waren nicht aus der Welt, aber dank ihm hatte ich die schlimmsten Klippen umschifft. Ich war wieder zu Kräften gekommen, und mein Verstand war klar. Ich hatte aufgehört, über mein Schicksal zu jammern. Die Wunde war nicht verheilt, aber ich glaubte inzwischen, mit ihr leben zu können, weil ich sie akzeptierte, weil sie mir vertraut war, weil Finn, sagen wir, eine Art hatte, seinen Hammer zu schwingen, die mich mit der Welt versöhnte.
    An diesem Abend hätte ich mich gern bei ihm bedankt. Ich tat es nicht, denn ich wollte ihn nicht verlegen machen. Außerdem bedankt man sich erst am Ende, und ich hatte nicht die Absicht, ihn loszuwerden. Ich schaute ihn an, und ich war überrascht, was ich hier gefunden hatte. Nicht, was ich gesucht, aber genau das, was ich gebraucht hatte.
    Er war es, der mich auf den Rückweg brachte.
     
    Später flog ich zu Oli nach New York. Er wollte mich unbedingt bei der Abschlußvorstellung von Daphnis und Chloe dabeihaben. Das wirkte zwar ziemlich fadenscheinig, aber ich brachte es nicht übers Herz, ihm seinen Wunsch abzuschlagen. Ich ahnte, daß er mir seine Freundin lieber auf neutralem Gelände vorstellen wollte. Ich hatte keine Lust, nach New York zu reisen, es war heiß. Ich hatte keine Lust, meine Espadrilles auszuziehen, und auch nicht, Leute zu treffen. Ich setzte mich am Abend in eine kleine Maschine.
    Er saß in der Bar des Lowell. Er empfahl mir einen Daiquiri. Er meinte, ich sähe blendend aus. Wir verzogen uns mit unseren Gläsern in eine ruhige, hinter zwei Sesseln verborgene Ecke. Ich freute mich ebenfalls, ihn zu sehen. Wir lächelten eine Weile.
    »Willst du wissen, was es Neues gibt?« fragte er mich.
    »Nur, wenn es sehr schlimm ist.«
    Ich hatte nicht den Wunsch, irgendwelche Nichtigkeiten, Impressionen oder Sprachlosigkeiten unter die Lupe zu nehmen, um mir Ediths Verfassung vorstellen zu können, damit wollte ich meine Zeit nicht mehr vertun.
    Er zog einen Umschlag aus seiner Tasche.
    »Guck mich nicht so an … Ich weiß nicht, was drinsteht.«
    Er bestellte noch zwei Drinks, während ich mich mit meiner Post nach vorn beugte.
    »Und mir, was wünschst du mir? Du hast immer gern den Unverstandenen und Verfolgten gespielt, aber diesmal bitte nicht. Sei so nett.
    Was wünschst du mir?
    Weißt du, das ist für mich auch nicht einfach. Ich spüre, daß sich alle gegen mich wenden. Sie verstehen nicht, daß ich dir nicht verzeihen kann. Sie finden, daß wir uns eine zu lange und grausame Strafe auferlegen. Es geht mir nicht darum, dich zu bestrafen, Henri-John, und ich weiß, daß du das nicht denkst. Ich glaube,

Weitere Kostenlose Bücher