Pas de deux
schwindlig, aber die Lust zum Spaßen war mir vergangen. Ich spürte, daß sich Annas Blick in meine Schläfe bohrte.
»Welchem Schriftsteller hat man den Beinamen ›Byron Amerikas‹ gegeben?«
»Ernest Hämorrhoid.«
»Falsch!«
»Doktor Hemingstein.«
»Falsch! Außerdem ist nur eine Antwort gestattet.«
»Hör mal, das war ein Scherz. Das sind Spitznamen, die von ihm selbst stammen. Marlene Dietrich hat ihn auch Papa genannt …«
Die restlichen Fragen hauten mich auf die gleiche Art vom Hocker. Und diese erste Erfahrung war nur ein Vorgeschmack.
Den ganzen Tag über hatte ich das Gefühl, daß uns die Dinge entglitten, daß wir uns im Kreise drehten und mehr und mehr steckenblieben, je tiefer die Sonne am Himmel sank. Anna war angespannt. Ich hatte eigentlich vor, in einem kleinen Wäldchen anzuhalten und sie auf einem Grasteppich zu nehmen, um sie auf andere Gedanken zu bringen, aber ich war mir nicht ganz sicher, ob sie dazu aufgelegt war. Man hätte meinen können, sie sei von dieser Straße regelrecht besessen oder habe eine geheime Mission zu erfüllen, bei der ihr eigenes Leben nichts zählte. Zwei-, dreimal war es zu Anfällen reinster Wut gekommen, zu ein paar heftigen Wortgefechten, die aber nicht lang anhielten, denn das Ganze wuchs uns über den Kopf, und die labyrinthische Beschaffenheit unserer Mühsale hielt uns in einer Art Stumpfsinn gefangen.
Jede Etappe erschütterte uns ein wenig mehr. Ich für mein Teil war überzeugt, daß die ganze Geschichte ein einziges Komplott war. Die Hinweise, die man uns gab, damit wir unsere neue Route finden konnten, die Fragen, die man mir stellte, waren samt und sonders dermaßen rätselhaft, daß ich sie nicht zu entschlüsseln vermochte, sie basierten auf irgendeinem Klatsch, Tratsch, Stuß, der ihr tägliches Brot war. Ich kannte sie nicht, die besten Restaurants der Riviera, war noch nie in Bayreuth gewesen, wußte weder, wer die Freundin von Alain Delon war, noch, wo man Sartre begegnen konnte, und auch nicht, wer die Hussards waren. Anna behauptete, ich sei nicht halb so schlau, wie ich mir einbildete, und die Mengen von Bücher, die ich las, brächten überhaupt nichts. Ich schlug ihr ein paarmal vor aufzugeben. »Nein, auf keinen Fall!« fauchte sie. »Schau mich an: Wir halten durch!«
Sie forderte mich mehrmals auf, schneller zu fahren. Wir hatten mindestens eine halbe Stunde Rückstand auf die vorletzten der Truppe, aber kaum sah sie eine lange Gerade, bildete sie sich ein, wir könnten sie einholen. Ich hatte ihr erklärt, das sei nicht gut für den Motor. Inzwischen scherte ich mich nicht mehr darum, ich gab Vollgas und jagte mit eisigem Lächeln den MG B nach, Autos mit achtundneunzig PS, während meine paar kurz vor dem Kollaps standen.
Es war, als wären wir in einem gigantischen Taifun gefangen, in dessen Zentrum ein Abgrund von Dunkelheit gähnte. Und je schneller wir fuhren, um so rasender näherten wir uns der Finsternis. Wenn wir das Heck eines Fahrzeugs erblickten, stieß Anna ein leises Stöhnen aus und schielte verklärt nach der Tachonadel. Aber es waren nie welche von uns, die wir dann überholten. Auch wenn ich es im voraus wußte, wenn ich schon von weitem das Heck eines Versailles oder eines 4CV erkannte – Annas Grimassen zeugten von ihrer aberwitzigen Hoffnung, und so stand ich weiter auf dem Gaspedal und hatte den Eindruck, bald würde es ein Ende haben.
Wir waren gleich vom Start an zurückgefallen. Manchmal, wenn wir eine Weile kein Wort gewechselt hatten, wandte sich Anna auf ihrem Sitz um und teilte mir mit, es sei niemand in Sicht. Zuerst kapierte ich nicht, was sie damit sagen wollte, später dann wollte ich sie nicht verärgern. Jedesmal, wenn wir uns wieder auf den Weg machten, grinsten die Typen und rüsteten erst nach uns zum Aufbruch. Sie merkte es nicht einmal. Sie taxierte immer noch unsere Chancen, die Spitze zu übernehmen, entdeckte absurde Abkürzungen, die ich nur ohne jedes Licht befahren durfte – es hätte ja sein können, daß uns jemand folgte –, und mit der Dämmerung wurde sie umgänglicher, sie zündete mir Zigaretten an und trällerte ein paar Schlager, die gerade in waren. Ich blieb trotzdem nervös. Ich hatte eine vage, dunkle Ahnung, was uns erwartete. Und mehr als alles andere quälte, ja schreckte mich die Sinnlosigkeit der ganzen Sache und das Ausmaß, das sie annahm. Ich verspürte eine Art Faszination ob der Hartnäckigkeit, mit der wir der Katastrophe entgegenliefen. Im Laufe des
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