Pas de deux
daß ihr Gesicht, je weiter wir gingen, immer verschlossener wurde. Ich fragte mich, was sie mir zu verkünden zögerte, es sei denn, es war dazu angetan, mir den Rest zu geben. Und irgendwie hoffte ich es fast, ich empfand eine finstere und nervöse Freude bei dem Gedanken an die böse Überraschung, die sie für mich bereithielt, die kleine Süße, ich wollte es endlich hinter mir haben, wollte den Schicksalsschlag endlich auf den Kopf kriegen.
Ich ging langsamer. War es der endlose Glanz des Meeres, der mich blendete, oder das Dräuen der elenden Viertelstunde, die vor mir lag? Mußte ich die Zähne zusammenbeißen oder meinen Bauch straffen? Und wenn ich mich täusche? schoß es mir plötzlich durch den Kopf. Zitternd stellte ich mir vor, der Himmel könnte gnädig sein, würde nicht erbittert immer über denselben herfallen.
Ich schüttelte mich, denn sie hatte mich gerufen. An dieser Stelle legte sich die Felsküste in Falten, sie ging vom Ockergelb in ein blasses Grün über und sickerte in langen Rinnen aus zähflüssigem Ton zum Strand hin. Ich kannte in der Gegend zwei, drei ähnliche Stellen. Man traf dort unterschiedslos alte, rheumageplagte Leute oder die letzten Hippies, die ihren Joint rauchten, die einen wie die anderen mit Schlamm bedeckt und in kleinen, natürlichen Wannen herumwatend, die mit einem unappetitlichen, lauwarmen Brei gefüllt waren. Ich hatte meine Töchter, als sie noch klein waren, dorthin mitgenommen, wenn wir hier die Ferien verbrachten. Ich erinnerte mich an den starken Geruch nach Erde, den wir nie los wurden.
Ich ging zu ihr. Wir waren weit weg von den bevölkerten Stränden, es war niemand zu sehen. Sie lächelte. Das war ein gutes Zeichen. Es war warm, aber die Luft war nicht glühend heiß, und das war angenehm. Sie zog ein wenig errötend, weil ich ihr zusah, ihren Badeanzug aus, dann setzte sie sich in eine dieser Schüsseln und fragte mich, ob ich auch käme, und dabei rieb sie sich die Brüste und die Schultern mit dicken Batzen von Schlamm ein. Ich brachte meine roten Bermudas auf einem trockenen Grasbüschel in Sicherheit. Wer würde auf die Idee kommen, einen nackten, wehrlosen Mann zu quälen?
Wir strichen uns eine Maske auf den Kopf und ins Gesicht.
»Komisch … So kommt es mir leichter vor …«
»Was denn, mein Schatz?«
»Na ja, zu reden … mit diesem Ding im Gesicht.«
Wir saßen uns gegenüber, bis zum Bauchnabel versunken wie in einem molligen Kajak. Ich hatte beide Arme über den Rand ausgestreckt, und jetzt betrachtete ich sie wie durch eine Art Wunder ohne jedes Mißtrauen.
»Nun ja … Wir haben es auch schon ohne so etwas geschafft, miteinander zu reden, oder nicht?«
Sie senkte den Kopf.
»Guck mich an.«
Es gab in mir ein phantastisches Wesen, das nur in Gegenwart meiner Töchter wach wurde. Das passierte nicht oft, und ich wußte nicht, wie sie es anfingen und ob ihnen überhaupt bewußt war, was sie da anstellten. Jedenfalls zeigte es sich immer dann, wenn wir gut aufgelegt waren, es lauerte auf jeden noch so unmerklichen Blick, den wir wechselten, und geriet in Höchstform, wenn wir ein Lächeln aufsetzten. Dann nahm es meine Stelle ein. Und es stimmte, daß mir in diesen Momenten manche Dinge zu hoch waren, daß ich nur eine armselige Kreatur war, unfähig, die Kraft und das Ausmaß meiner Empfindungen zu erfassen. Aber dieses Wesen verstand sich darauf, es verstand, was ich nicht verstand, nahm entgegen, was ich nie hätte entgegennehmen können, und führte mich auf Gipfel, die mein Geist niemals hätte erreichen können. Meine Töchter hatten also hin und wieder eine ganz besondere Wirkung auf mich. Selbst Evelyne – und dieses sanfte Herz hatte sich immer noch nicht nach mir erkundigt – hatte noch die Gabe, mich zu verwandeln, in mir jenes erhabene Double wachzurufen, das mich ganz platt machte.
Kurz und gut, sie blickte wieder auf ihren Vater, dessen plötzliche Seligkeit nicht offenbar wurde – er war gut verpackt unter einer dicken Lehmschicht.
»Ich dachte, das sei leicht. Komm, sag schon …«
Ich spürte, daß der Schlamm auf meinem Gesicht langsam trocknete. Es fiel mir bereits schwer zu lächeln.
»Tja, es ist nur … Ich weiß nicht, wie du reagieren wirst.«
»Komm schon, ich sitze, ich bin fünfundvierzig Jahre alt, und meine Güte, ich glaube, ich habe schon alles mögliche gehört.«
»Weißt du, ich glaube nicht, daß dir das gefallen wird.«
»Na schön. Es wird mir vielleicht nicht gefallen. Ich werde mich
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