Pas de deux
reicht.
Ich muß an mich halten, nicht böse zu werden. Ich muß mir ins Gedächtnis rufen, daß ich nicht deswegen gekommen bin. Aber ich lege diese Kleinigkeiten in einer Schublade meines Kopfs ab. Und ich vermeide es, ihm in die Augen zu schauen, denn ich befürchte, ihn prompt mit meinem Blick zu töten.
Die Geschichte, die ich ihm erzählt habe, scheint ihn wirklich zu treffen. Er kann es nicht fassen, daß ich die ganze Nacht draußen verbracht habe, er schafft es nicht einmal, sich zu setzen, er sagt: »Draußen? Ja, wo denn?«, er sagt: »Was? Nicht auf der Straße?!«, er sagt: »Du bist bekloppt, ehrlich!« Meine Antworten sind nicht gerade eindeutig, meine Handbewegungen ausweichend, und ich zeige ihm, daß er mich quält, ich bemühe mich, meine Lippen zittern zu lassen. Er sagt: »Na schön, reden wir nicht mehr davon. Trink lieber, solange er noch heiß ist.«
Wie komme ich ins Schlafzimmer? Ich denke mit gesenktem Kopf über dieses Problem nach, und wir schweigen eine Weile.
»Hast du gesehen, diese Mauer, die sie in Berlin gebaut haben?«
Ich gebe keine Antwort. Die Vorstellung, mich auf diesem Bett niederzulassen, kann mich auch nicht begeistern.
»Hast du diese Typen gesehen, die in ihrer Rakete um die Erde kreisen?«
»Warum immer nur ich? Warum reden wir nicht zur Abwechslung mal von dir?!«
»Weil ich nicht draußen schlafe. Ich hab nichts zu erzählen, deshalb!«
Ich habe es nie vertragen, wenn er mir gegenüber laut wurde. Hin und wieder habe ich versucht, mich im Zaum zu halten, aber es ist mir nie gelungen, ich spürte, daß sich mein Körper versteifte, und dann ging es los, ich habe nie vor ihm gekuscht. Er hat Glück, daß wir, daß ich heute in einer besonderen Mission hier bin.
Ich wundere mich selbst am meisten über das leise Lächeln, das ich ihm schenke. Da ist noch etwas, was mich außer Fassung bringt, und ich weigere mich im ersten Moment, es mir einzugestehen, ich sage mir, das ist besser so. Aber ich will keinen Schmus erzählen, er hat mich eingeschüchtert, nicht mehr und nicht weniger, und das ist eines der Dinge auf Erden, die ich nie für möglich gehalten hätte. Denn (dixit Alice): »Die Schlange ist es nicht gewohnt, dich mit einem Stock in der Hand anzutreffen.«
»Willst du dich hinlegen?«
»Warum sollte ich mich hinlegen wollen?«
»Keine Ahnung, du siehst blaß aus. Vielleicht biste ja müde, was weiß ich …«
»Ich bin nicht müde.«
Ich bin nämlich für den Bruchteil einer Sekunde wieder normal geworden und habe es nicht nötig, daß sich jemand um mich kümmert. Und er auf keinen Fall, ich bin groß genug.
Aber das ist wirklich ein Tag, an dem ich alles schlucken muß, ein Tag, an dem mein Stolz einen herben Schlag einsteckt. Wahrscheinlich bin ich so etwas wie eine Heilige. Ich stehe also auf, ohne noch einen Ton zu sagen, und dabei sterbe ich vor Erniedrigung, aber ich folge seinem Rat und flitze wie ein braves Mädchen ins Bett.
Ich finde es ein wenig weich, dieses Bett, das ist auch typisch für sie. Ich bin nie auf ihren entschiedenen Gesichtsausdruck reingefallen, auf ihr autoritäres Gehabe. Ich glaube, im Grunde steckt da nicht viel hinter. Deshalb hat sie sich auch einen Achtzehnjährigen geangelt, der ist nämlich leichter zu handhaben. Deshalb hat sie auch kein Selbstvertrauen und Schiß vor der ganzen Welt, na ja, so sehe ich das. Sie ist wie Karen, die den Vater ihres Kindes nie wiedersehen wollte, Karen, die noch mit dem Daumen im Mund einschläft. Sie haben die gleichen Probleme.
Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergehen wird. Vielleicht wird überhaupt nichts passieren. Vielleicht schlafen sie in diesem Moment zusammen, während ich wie eine Idiotin dieses Tagebuch schreibe, einen Arm zwischen meine Beine gepreßt, und vor Ungeduld vergehe, ja, als ob etwas passieren müßte, etwas Verrücktes und Unmögliches, und daß ich so naiv bin, macht mich ganz krank. Wie damals, als ich eine Banane im Garten gepflanzt habe, eine Staude, die Alex uns mitgebracht hat. Das war mitten im Winter. Ich dachte, mein Glaube müsse ausreichen.
Er hat nichts dagegen, eine Zigarette mit mir zu rauchen, unter der Bedingung, daß wir das Fenster aufmachen. Es regnet nicht mehr, aber die Wolken sind immer noch da, und es ist dunkel.
Ich weiß nicht, worüber wir reden.
Er liegt vor meinen Füßen, quer über dem Bett. Nach einer Weile ziehe ich meine Knie ans Kinn. Ich weiß nicht, was er alles sieht, aber das müßte ihn auf gewisse Gedanken
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