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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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erfuhr ich im Laufe meiner Beobachtungen immer wieder das Glück des Entomologisten. Mit einer Lupe versehen, entdeckte ich Schuppen auf Olgas Kopfkissen, weiße Haare an Karens Bürste. Getrocknete Spermaflecken – meinte ich zumindest – auf einem von Chantals Kleidern. Ein schwarzes Härchen in einem Schlüpfer von Corinne, die ich für naturblond gehalten hatte. Es kam selten vor, daß ich im Laufe einer Woche keine einzige dieser Entdeckungen machte, die in meinen Nachforschungen so etwas wie ein kleines Wunder bedeuteten. Sie erfreuten mich für den ganzen Tag. Die geringste Neuigkeit, das kleinste Detail bereicherte meine Studie. Das war eine spannende Angelegenheit. Ich hatte angefangen, sie ein wenig näher zu untersuchen, einzig und allein in der Absicht, im geeigneten Moment die Jagd zu eröffnen, und wenn möglich mit dem Wissen, was Sache war. Da jedoch die Berge in dem Maße zurückwichen, wie ich mich ihnen näherte, da die Tage im Winter lang waren und meine neue Manie zum einen angenehme Seiten, zum andern einen wissenschaftlichen Reiz hatte, ließ ich hartnäckig nicht von ihr ab und tröstete mich, so gut ich konnte. Ich versuchte, nicht daran zu denken – und es gelang mir, indem ich mich an meinen kostbaren Entdeckungen berauschte –, daß mein Karabiner im Schrank hing.
    Ich belauschte sie, das Ohr gegen die Wand des Badezimmers gepreßt. Ich belauschte sie in ihren Zimmern. Ich belauschte sie durch die Trennwand der Toilette. Es schneite, sie waren beinahe meine Gefangenen, und es passierte nichts Außergewöhnliches im Haus, jeder kümmerte sich um seine Angelegenheiten. Ich war glücklich, wenn es kalt war, wenn sich für einige Tage schlechtes Wetter einnistete, denn dann gingen sie nicht aus, kleideten sich nicht an, schminkten sich kaum. Das waren Festtage, die Gelegenheit, meine Verzeichnisse in situ zu vervollständigen, vom frühen Morgen bis in die Nacht, ohne daß sie mir wegen irgendwelcher obskurer Ausflüge in die Stadt entwischten. Ich liebte sie gewissermaßen alle vier, wie ein Wissenschaftler, der gerührt vor seinen Sternen, seinen Mikroben, seinen Formeln, seinem grauen Vogelnest steht. Ansonsten zog Olga mich mit ihrer schrulligen Ordnungsliebe an, ich träumte von ihr, daß sie ihre Dessous faltete und ihre Bettücher neu einfaßte, während ich sie von hinten nahm und ihre Haare löste. Karen brachte mich mit ihren milchgefüllten Brüsten zutiefst durcheinander. Corinne war die hübscheste, die, für die das Telefon am häufigsten läutete. Dennoch schienen ihre Liebesgeschichten stets als Drama zu enden, ungefähr einmal im Monat quollen Tränen aus ihren Augen. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, ihre Verwirrung dazu auszunutzen, sie in meine Arme zu schließen, sie mit einer Hand zu trösten und ihr mit der anderen, das Gesicht in ihrem Seidenschal vergraben, die Balletthose runterzuziehen. Was Chantal anging, die ich im Zug gehabt hatte und deren – wundervollem! – Hintern ich meine ganze Pubertät lang nachgeschielt hatte, bei ihr hatte ich manchmal Hitzewallungen.
    Anfang Dezember schrieb Dinah Maggie in Combat, daß man künftig mit dem Sinn-Fein-Ballett rechnen müsse. Ich dachte, Georges werde meiner Mutter ein Kind machen, so sehr schnäbelte er an diesem Abend mit ihr herum. Weihnachten verbrachten wir in Dresden mit einem Stück von Paul Taylor, das wir bereits in Paris aufgeführt hatten, und Neujahr in Stuttgart, wo wir als Draufgabe in den Genuß eines todlangweiligen Abends mit John Crankos neuer Truppe kamen, die Georges unbedingt hatte sehen wollen und von der er enttäuscht war – und natürlich nahm Georges kein Blatt vor den Mund, wenn’s ums Tanzen ging, auch auf die Gefahr hin, dem Publikum eine kalte Dusche zu verpassen, wenn er laut den Saal verließ, nachdem er das Programm zerrissen und die Fetzen in die Luft geworfen hatte.
    Zum Auftakt des Jahres 62 erhielt ich ein Briefchen von Anna, in dem sie mir mitteilte, ich solle verrecken. Ich spürte, daß ihr die Puste ausging. Mir klangen noch ihre Anrufe in den Ohren, ihr Geschrei, ihre Drohungen, ihr Lamentieren und ihr Verlangen, noch einmal von vorn anzufangen, aber ich gab nicht nach, ich packte den Apparat und setzte mich so, daß ich eines meiner vier Geschöpfe im Blickfeld hatte, und ich sagte mir, ich werde es schaffen, ich muß es schaffen, dann legte ich endlich auf.
    Zu Beginn des Frühjahrs versuchte ich es bei Olga. Ich lauerte seit fünf Monaten auf eine Gelegenheit. Nur,

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