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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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pflück dir alles, was du willst!«
    Das war bestimmt eine der abgelegensten Gegenden der Welt. Ein ganzer Landstrich ohne Telefon, ohne Fernsehen, ohne warmes Wasser, dazu Enten und Hühner bis in die Küche, eine total beknackte Ecke. Das war noch schlimmer, als ich es in Erinnerung hatte.
    Wir saßen eine Weile mit den Eltern in der Küche. Der Vater machte mich verrückt.
    »Herrgott, Bursch, du bis’ aber groß geworden, weißte das …« sagte er andauernd. Oder: »Sach mal, Bursch, is’ ja nich’ zu glauben, du bis’ ja fast schon ’n Mann!«
    Ich hätte ihn erwürgen können. Ich wollte endlich mit Olga allein sein. Aber erst mußten wir die Flasche grünen Cidre austrinken, die sie extra für uns aufgemacht hatten, der reinste Essig. Die Fliegenpapiergirlanden baumelten summend in den Ecken. Man hätte schwören können, sie seien lebendig.
    Wir verabredeten uns für den Abend. Ich stellte erfreut fest, daß uns der Cidre, so gepanscht er auch war – ich hatte einen Geschmack wie von Kölnisch Wasser im Mund –, ein wenig in den Kopf gestiegen war. Olgas Wangen waren leicht gerötet.
    Draußen war es schön, frisch und klar. Sie war froh, daß ich da war, sie sagte, sie verstehe nicht, warum keiner mehr mitkommen wolle. Ich antwortete, wir seien alle bekloppt, wir wüßten nicht, was gut sei, aber jetzt fühlte ich mich von der Einfachheit der Dinge angezogen.
    »Ja … Ich finde, du hast dich auch geändert, seit du wieder zurück bist. Ich finde, du bist netter, zurückhaltender, ruhiger geworden.«
    Monate harter Arbeit, ging es mir durch den Kopf, und endlich sprießen die ersten zarten Triebe aus dem Boden! Wir gingen auf den Obstgarten zu. Ich wollte noch nicht hurra schreien, aber es lief alles wie geschmiert.
    »Ach, ich habe nur ein paar Sachen gemerkt«, murmelte ich. »Weißt du, da lebt man mit Leuten zusammen und stellt fest, daß man sie gar nicht kannte.«
    Sie wollte in den Baum klettern. Ich stand wie vom Blitz getroffen unten an der Leiter. Ein rascher Blick unter ihren Rock, an ihren nackten Beinen entlang, und mein ganzer Körper begann zu schmerzen.
    Angetrieben von einer genialen Eingebung, rannte ich zum Haus zurück und holte Cidre. Sie war immer noch im Baum. Der Hang war steil, und ich war so schnell gelaufen, quer über den Hof, und bis zu den Knöcheln in einer Schlammschicht versunken, daß ich nur noch eine keuchende und angewiderte Fratze abgab.
    »Oh! Du bist schon wieder zurück?«
    Ihre Stimme war hell und klar wie Kristall. Mir war, als sänge sie, als hätten diese paar Stunden an der frischen Luft sie in einen Vogel, in einen Bach, in eine kleine arglose Bäuerin verwandelt. Ich war bereit, jedes Wochenende hierherzukommen, wenn das so weiterging.
    Ich hielt die Leiter, während sie sich an die Arbeit machte. Ich zerschmolz mit geschlossenen Augen in ihrem Duft, ließ ihren Rock über mein Gesicht rieseln.
    Wir tranken. Ich hatte ihr, nach kurzem Nachdenken, meine Jacke gegeben, damit sie sich darauf niederlassen konnte. Ich hatte behauptet, der Boden sei ein wenig feucht für ihren Hintern, aber das Gespräch hatte nicht die scharfe Wendung genommen, die ich mir wünschte, trotz des kleinen Scherzes, den ich hinzugefügt hatte, daß da nämlich schon mehr passieren müßte, um ihn aufzuweichen, wenn sie mich fragte. Sie war nicht darauf eingegangen. Aber ich achtete dankbar auf jeden Schluck, den sie trank.
    » …und außerdem glaube ich nicht, daß sie so genau weiß, was sie will. Zur Zeit ist sie merkwürdig.«
    Ich hatte kaum mitbekommen, daß sie mit mir sprach. Wir saßen ganz eng beieinander, aber ich hatte nur Augen für diese verflixten drei Zentimeter, die fehlten.
    »Ah! Findest du? Ich persönlich versuch schon lang nicht mehr, sie zu verstehen. Man kann sich nicht ständig fragen, was sie hat. Sicher Wachstumsprobleme …«
    »Nein. Merkwürdig, ich meine damit … es ist, als wäre da eine Art Wut in ihr, findest du nicht? Selbst wenn sie lächelt, selbst wenn alles in Ordnung ist …«
    »Ja, aber das ist nun mal Edith … Ich sehe darin nichts Merkwürdiges.«
    Ich hatte keine Lust, über Edith zu reden. Das Thema regte mich auf, und für den weiteren Verlauf der Dinge war davon nichts zu erhoffen. Edith und ich, wir hatten uns achtzehn Jahre lang gehätschelt und gekloppt. Sie war nicht merkwürdig, sie war bestußt. Unwiderruflich. Aber das konnte man ihrer Taufpatin nicht sagen, denn wenn man über die eine lästerte, lief man Gefahr, sich die

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