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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Sie aß es hinterher.
    In diesem Moment ging mir ein Licht auf, ich erblickte einen Weg, den ich bislang übersehen hatte. Der Sex war eine Sache. Das Leben eine andere. Und niemand brauchte es sich zu vergällen, um zu ersterem zu gelangen. Alice fragte mich, ob ich über Thurbers Tod lächeln müsse. Ich beruhigte sie, indem ich ihr einen schrägen Blick zuwarf. Nein. Sie sicher nicht, sie kam nicht in Frage.
    Rebecca auch nicht – aber das lag nicht daran, daß ich keine Lust gehabt hätte. Edith, davon redete ich lieber nicht. Ramona verflüchtigte sich. Blieben also Karen, Chantal, Olga und Corinne. Ich hatte keine Vorliebe. Ich würde mich derjenigen hingeben, die mich gern wollte. Ich brannte bereits darauf, ihnen die vielfältigen Vorteile darzulegen, die ihnen meine Gesellschaft bieten konnte: nicht nur, daß sie ihre Freiheit behielten, ich garantierte ihnen auch Ruhe, Diskretion, Behendigkeit, kurzum: einen tadellosen Service ohne jede Verpflichtung, und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Es schien mir großartig, daß wir aufeinander zurückgreifen konnten, ohne bei jeder Fleischesschwäche über Berg und Tal rennen zu müssen.
    Wie dem auch sei, die Sache war damit noch längst nicht geritzt. Oli fand, das sei riskant. Er gestand mir, daß er sein Glück bei Olga versucht habe – ich war völlig verdattert –, und er fügte hinzu, er habe mir nur noch nichts davon erzählt, weil es nicht geklappt habe.
    »Ach du grüne neune! Was hast du denn genau gemacht?!«
    »Na ja … eines Abends haben wir als einzige noch Fernsehen geguckt, und ich saß neben ihr. Nach ’ner Zeit hab ich dann meine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt …«
    »Mmm«, schnalzte ich, »als wir zehn waren, fand sie das noch lustig. Da konnte man ihre Brüste anfassen, und sie hat kaum was gesagt, da hatten wir noch nicht die Pest …«
    »Oli, nimm sofort deine Hand weg!« ahmte er quiekend Olgas Stimme nach. »Ehrlich, man hätte meinen können, ich wollte sie umbringen …«
    Ich mußte also äußerste Vorsicht walten lassen, durfte mich erst aus meiner Deckung hervorwagen, wenn der Erfolg gesichert war. Es so einrichten, daß ihnen die Augen aufgingen, sie dazu bringen, das Bild, das sie von mir hatten, zu überdenken. Sie sollten den kleinen Mann vergessen, den sie gehätschelt hatten, den süßen Buben, den man in der Garderobe während des Umkleidens gern neckte, den Jungen, der sich auf ihren Schoß kuschelte. Sie sollten den Jugendlichen, dessen Anwandlungen zum Lächeln reizten, aus ihrem Gedächtnis streichen, sollten nicht mehr so tun, als fielen sie aus allen Wolken, wenn man ihnen ein ernsthaftes Angebot machte. Das war eine beträchtliche Arbeit, aber sie war es wert, daß man sich hineinkniete.
     
    Der Winter verging ohne besondere Ereignisse. Ich spionierte ihnen nach. Ich hatte nicht viel zu tun, abgesehen von meinen Klavierstunden und den Abendkonzerten, die ich unbedingt hatte fortführen wollen, um meiner Persönlichkeit ein wenig mehr Gewicht zu verleihen. Ich belauerte sie bei jeder Gelegenheit. Ein finsterer Türrahmen, ein Vorhang an einem Fenster, eine Zeitung, ein Schlüsselloch waren für mich geweihtes Brot. Ich studierte ihre Cremes, ihre Medikamente, ihre Salben, stellte eine Liste ihrer Lieblingsgerichte auf. Ich kannte ihre Maße auswendig. Ich wußte, wann sie ihre Regel hatten, ich hatte die günstigsten Termine ausgerechnet und hortete Präservative, um für alle Fälle gewappnet zu sein.
    Sie waren schwer von Begriff. Als der erste Schnee fiel, sahen sie mich noch nicht in einem wirklich neuen Licht, aber das Unternehmen war auf lange Sicht angelegt. Ich hatte mir vorgenommen, lieber den Unbeteiligten zu spielen als übereilt vorzustürmen und eine allgemeine Panik hervorzurufen. Einige wohlgewählte, mit Unschuldsmiene spärlich verteilte Komplimente, zufällig vorbeikommen, wenn sie ihre Wäsche abhängten, das war alles, was ich mir erlaubte. Und das war wirklich kein Luxus. Es stellte sich heraus, daß ich einen schwierigen Hang erklomm: Aufgrund ihrer Gespräche – ich bemühte mich, daran teilzuhaben, und heuchelte ein maßvolles Interesse, wenn sie ganz banal waren – hatte ich schließlich erfaßt, daß ich ihnen mit meinem hochnäsigen Getue und meiner verdammten Literatur ziemlich auf die Nerven gegangen war. Ich sah den Weg, der vor mir lag.
    Mein Geschlechtsleben tendierte zwar zum absoluten Nullpunkt – Ramona zum Nachgeben zu bringen, glich einem Gewaltakt –, doch dafür

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