Pas de deux
mich keineswegs. Ich hatte oft das Gefühl, wir hätten nicht viel Zeit.
Kurz und gut. Mein Gefühlsleben mochte zwar einer Kegelpartie gleichen, doch ich war entzückt, noch auf den Beinen zu sein. In diesem Frühling 1962 beschloß ich, meine Abenteuer nicht mehr tragisch zu nehmen. Unter anderem hatten mich die Abende, an denen David an meiner Bewußtseinsbildung arbeitete, von der Absurdität der Welt überzeugt. Das war wie in meinem Leben, alles lief schief. Welche Aufmerksamkeit verdiente schon ein solches Netz von Verirrungen, Clownerien, Klageliedern und Strampeleien aller Art? Diese Feststellung verschaffte mir eine ungeheure Erleichterung, die sich mit den schönen Tagen und parallel zu der Entwicklung meines Verhältnisses zu Edith und Oli noch verstärkte.
Oli und ich kamen einander näher. Entgegen der Tendenz, die mich mit der Zeit dazu gebracht hatte, ihn nicht mehr als besten Spielkameraden anzusehen, sondern als kleinen Jungen, der in seiner Unreife nur für die Ersatzbank taugte, revidierte ich mein Urteil, und wir zwei verstanden uns wieder prächtig, ohne Tamtam, ohne große Umarmung und ohne Erklärung. Und ich wollte gar nicht wissen, wer von uns beiden sich geändert hatte.
Auch Edith wurde schließlich wieder umgänglicher. Ich selbst hätte mich wohl damit abgefunden, aber seit ihrer Wahnsinnstat waren einige Monate vergangen, und da ich aufpaßte, wohin ich trat – so wie ich es auch lieber übersah, wenn sie mich anstarrte, und manche ihrer laut geäußerten Gedanken überhörte –, wahrte sie keine allzu krasse Distanz mehr zu mir. Und zuweilen redeten wir miteinander, zwar nicht, wenn wir allein waren, aber es war, als ob uns jemand unter die Arme griff. Ich glaube, daß David, der Waise war und das ganze Haus innig liebte, es nicht ertrug, daß es Reibereien zwischen uns gab. Meiner Meinung nach wußte er nichts von dieser Sache zwischen Edith und mir und ermunterte sie zu größerer Freundlichkeit mir gegenüber.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir schon längst Frieden schließen können. Was warf sie mir eigentlich vor? Daß ich ein paar ungeschickte Worte gesagt hatte? Na schön, ich bereute es bitterlich, ich strömte über vor Entschuldigungen …, aber sie hätte auch mehr Verständnis haben können, ich hätte sie mal an meiner Stelle sehen wollen, ob sie nicht die gleichen Schweißperlen auf der Stirn gehabt hätte wie ich, als ich auf die Uhr schaute, da hätte ich sie wirklich mal sehen wollen … Nun gut, ich für mein Teil war bereit, den Vorfall zu vergessen. Ich war bereit, wenn sie es wünschte – ich hätte ihr mein Wort gegeben –, die ganze Sitzung aus meinem Gedächtnis zu streichen. Denn ich bedachte zumindest die Umstände. Ich sah ein, daß sie sich mir in einem Moment der Verirrung hingegeben hatte, daß sie mir nach einer Nacht, die sie draußen verbracht hatte, in den Schoß gefallen war, daß sie einen deftigen Krach mit David gehabt hatte und nicht mehr wußte, woran sie war. Wenn ich daran zurückdachte, war ich – trotz der angenehmen Überraschung, die mir geblieben war – nicht gerade stolz auf mich. Mir war, als hätte ich etwas verdorben, und ich wußte nicht so recht, wie ich das wiedergutmachen sollte. Nun ja, war das Leben nicht absurd? Hatte ich nicht jahrelang davon geträumt, mit Edith zu bumsen? Und jetzt tat es mir leid. Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen dieses Abenteuers. Die Erinnerung daran war eine Mischung aus Freude und Bitterkeit, und ich konnte beides nicht voneinander trennen. Zumal die Bitterkeit meist die Oberhand gewann. Edith kommt hilfesuchend zu mir, und ich packe die Gelegenheit beim Schopf, so sah ich die Sache. Das war nicht gerade eine Glanztat von mir. Ich konnte mir vorstellen, was sie empfand, und deshalb hielt ich die Klappe, wenn ich das Opfer ihrer Launen war, und wartete, bis es vorüber war. Sie war monatelang sauer auf mich gewesen. Sie war es noch, aber das Schlimmste hatten wir hinter uns.
Sie arbeitete mit David zusammen, sie half ihm, seine Bühnenbilder zu machen. Morgens nahm sie weiter ihre Tanzstunden, aber Georges hatte keine große Hoffnung mehr. Meine Mutter und er fragten sich allmählich, wohin der Wind uns drei treiben werde. Nadias Ermunterungen zum Trotz glaubte ich nicht, daß ich das Zeug zu einem großen Pianisten hatte – nicht einmal zu einem ordentlichen Orchestermusiker –, und Oli verspürte auch nichts, höchstens einen vagen Verdruß bei der Vorstellung, sein Leben
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