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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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in Balletthosen zu verbringen. Georges hatte ihnen zwar seine Liebe zum Tanz vererbt, nicht aber die Lust, ihn zu praktizieren. Manchmal schaute er uns nachdenklich an. Sie fürchteten vielleicht, drei Idioten herangezogen und dieses Unheil selbst heraufbeschworen zu haben, als sie uns von der Schule nahmen, fürchteten, unsere Fläschchen mit einer Milch gefüllt zu haben, die abzusetzen nun ein wenig zu spät war. Denn abgesehen von einem soliden Grundwissen in puncto Kunst – der man anscheinend alles opfern mußte –, einem kleinen Abstecher ins Englische und der Lektüre von Dichtern und Romanciers waren unsere Kenntnisse alles in allem nicht dazu angetan, uns eine gesicherte Zukunft vorzuzeichnen. Alice hatte schon längst die Hoffnung aufgegeben, uns die Grundbegriffe der Mathematik und anderer Wissenschaften, die uns nur auf die Nerven gingen, einzutrichtern. Sie führte uns weiter, erklärte uns die schwierigen Autoren und andere, die wir neu entdeckten. Doch obwohl sie über unsere Fortschritte in dieser Materie hellauf begeistert war, schaute sie uns zuweilen fassungslos an, wenn sie nicht gar die Augen gen Himmel verdrehte, als wolle sie sagen: »Gott, ich fühle mich verantwortlich. Oh, räche dich an mir, aber erbarme dich dieser Kinder!«
    Natürlich waren wir nicht imstande, sie zu beruhigen. Keiner von uns hegte große Pläne, zeigte besondere Ambitionen, hatte eine ausgesprochene Begabung oder war eines Morgens unter dem heftigen Eindruck einer Berufung aufgewacht, die über Nacht gekommen war.
    Als einer, der Unterkunft und Verpflegung hatte, brauchte ich, trotz des mickrigen Lohns, den ich abends einstrich – ich verzichtete darauf, ihn in harten Francs zu zählen –, nicht über mein Taschengeld zu klagen. Ich verdiente sogar genug, um mir ein paar Extras leisten zu können, zum Beispiel den Kauf luxuriöser Damendessous – von denen ich mir, nebenbei gesagt, einiges versprach.
    Edith kam ebenfalls gut klar. Manchmal übertraf sie mich sogar, wenn nämlich David einen fetten Auftrag einheimste – er rühmte sich, der einzige zu sein, der eine Leinwand zum ›Sprechen‹ bringen könne – und die beiden alle Hände voll zu tun hatten. Oli und ich halfen ihnen, wenn sie überlastet waren, und das ergab ein bescheidenes Zubrot, das wir uns teilten.
    Wir zahlten regelmäßig in eine kleine gemeinsame Kasse, die wir Alex überreichten, damit er uns die neusten Scheiben aus den Staaten beschaffen konnte. Die Platten, die wir nicht ausstehen konnten, verkauften wir mit leichtem Gewinn. Ich stand in dem Ruf, mich in Musik auszukennen, und ich konnte einem, der Richard Anthony hörte, alles mögliche andrehen, und am liebsten hätte er mir noch die Hände geküßt. Georges meinte, er hätte in unserem Alter jeden Sou, den er herausschinden konnte, für sein täglich Brot gebraucht, und später, als er mit seinen Eltern nach Frankreich zurückgekehrt sei, hätte er ein Jahr lang gespart, um sich seine ersten Tanzstunden leisten zu können. Wir hörten ihm wortlos zu. Wir konnten uns nur schwer eine Vorstellung von dieser finsteren Zeit machen. Selbst die üblen Jahre, die das Sinn-Fein-Ballett während unserer Kindheit mitgemacht hatte, verloren sich in der Ferne. Georges brachte immer noch ganze Nächte mit seiner Buchhaltung zu. Wir wußten, daß das Ganze nicht einfach war, und wir schalteten immer noch automatisch das Licht aus, wenn wir als letzte das Zimmer verließen. Aber uns deswegen irgendwelche Sorgen zu machen, uns gleich Sparstrümpfe zu stricken oder einfach nur nachzudenken, was uns die Zukunft bringen konnte, nein, das war ein ganz anderes Paar Schuh, in das wir nicht einmal mit den Zehenspitzen schlüpften.
    David arbeitete den ganzen Sommer für uns. Er kam Abend für Abend ins Haus und blieb zum Essen, danach durfte er mit Georges über einige Details in puncto Bühnenbild und Kostüme streiten, ohne daß sie ein Ende fanden. Georges zeigte sich, gelinde gesagt, äußerst pingelig. Er hatte drei kleine Werke über Stücke von Ravel inszeniert, die im Théâtre des Nations zur Aufführung gelangen sollten. In diesem Jahr war Paul Taylor da. In den Jahren zuvor hatten sich Balanchine und Béjart präsentiert. Georges verstand keinen Spaß.
    Die Nächte waren warm, wir aßen leichte Kost, und die Fenstertüren zum Garten standen in der Hoffnung auf eine angenehme Brise offen. Das war nicht das erste Mal, daß David an unserem Tisch saß, aber jetzt kam er jeden Abend.
    Ich hatte den

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