Pas de deux
und das mich zwar nicht am Einschlafen hinderte, aber doch nicht ganz kalt ließ. Ich hatte sie eines Abends in einer mit Menschen vollgepfropften Wohnung kurz gesehen. Ich hatte sie erst bemerkt, als sie ging, und wir hatten uns einen Moment lang angeguckt, bevor sie verschwand. Ich hatte mich sogleich erkundigt und war an Flo geraten, die das Mädchen kannte. Meine Fragen bereiteten ihr ein diebisches Vergnügen, und sie hatte meine Neugier erst nach den üblichen plumpen Scherzen befriedigt. Doch ich hatte nicht mit der Wimper gezuckt, ich hatte gewartet, bis sie den Quatsch mit der trapsenden Nachtigall und der beständig mausenden Katze leid war. Die Liebeleien anderer, besonders die ihrer verflossenen Freunde, fand die arme Flo ebenso aufregend wie ihre eigenen. »Na ja, wenn’s dich interessiert«, hatte sie hinzugefügt, »ich hab sie zu der Fête auf dem Land eingeladen …« Es interessierte mich.
Flo kam auf mich zu und küßte mich zur Begrüßung. Sie sagte, sie wisse nicht mehr, wo ihr der Kopf stehe, und sie nahm ihre Rolle dermaßen ernst, daß es schon lächerlich war. Ich hütete mich, ihr irgendeine Frage zu stellen.
Die meisten Anwesenden waren mir bekannt, zumindest hatte ich sie ein-, zweimal bei dem einen oder andern gesehen, so daß ich nicht umhin konnte, da und dort ein paar Worte zu wechseln, und dieser Rundgang durchs Zimmer kostete mich mindestens drei Tage. Selbst hinter den Vorhängen entdeckte ich welche, andere hockten im Schatten oder saßen hinter dem Sofa auf dem Boden, aber meine Unbekannte sah ich nicht. Wenn mich Flo auf den Arm genommen hatte, konnte sie etwas erleben. Ich hatte nicht vor, mich achtundvierzig Stunden im Kreise der Sitzengebliebenen zu drehen. Ein Typ, der im Laufe eines Abends kein Mädchen auftrieb, sackte ganz nach unten. Und das hatte nicht ich erfunden.
Meine Laune schlug allmählich um, meine Miene verfinsterte sich, als ich plötzlich bemerkte, daß auch draußen noch Leute waren.
Sie saß mit einem Typen auf einer Schaukel. Ich verspürte einen leichten Stich, nicht weil sie in Begleitung war, sondern weil sie noch viel hübscher war, als ich sie in Erinnerung hatte. Also wandte ich mich ab und biß mir kräftig in die Hand – ich hatte in einer Zeitschrift, die sich der Harmonie des Paares widmete, einen Artikel gelesen mit dem Titel »Wie geht man eine außergewöhnliche Situation an?« –, danach ging ich auf die beiden zu und setzte mich neben sie, ohne ihnen Beachtung zu schenken.
Ich wußte nicht, ob sie mich wiedererkannt hatte. Ich wußte nicht, ob sich der Blick, den wir zwei Wochen zuvor gewechselt hatten, in ihrer Erinnerung nicht verflüchtigt hatte, ob er überhaupt die Wirkung gehabt hatte, die ich mir erhoffte. Ich war ein wenig unruhig, zumal sie offenbar etwas älter war als ich, und die Schwierigkeiten, auf die man in einer solchen Situation stößt, hatte ich schon bemerkt. Ich selbst machte mir nichts aus Mädchen meines Alters, und im allgemeinen sah es umgekehrt nicht anders aus. Wie war das wohl bei einer Zwanzigjährigen?! Mußte der Typ nicht mindestens fünfundzwanzig sein, und warum nicht gleich einer mit grauen Schläfen?! Wir stellten einander zwar nach, aber unter diesen Umständen waren unsere Aussichten ziemlich mager. Und der Typ neben ihr hatte einen Schnauzbart, daß es mich ganz verrückt machte.
Trotzdem hatte ich nicht den Eindruck, daß er die Partie schon gewonnen hatte. Soviel ich von ihrer Unterhaltung mitbekam, wohnte ich, das wurde immer klarer, den ersten Annäherungsversuchen bei, und deren Ausgang war noch in weiter Ferne. Und als ich hörte, daß er sie siezte, stieß ich einen Seufzer tiefster Befriedigung aus, was mir einen raschen Seitenblick von ihr eintrug.
Die Temperatur war angenehm. Dann und wann wehte ein leichter, böiger Wind. Ich kannte mich damit nicht groß aus, aber ich hätte wetten können, daß Regen im Anzug war, das Land duftete intensiv, und der Himmel war tiefschwarz. Aber ob es nun in Strömen goß oder um Mitternacht die Sonne aufging, kümmerte mich nicht im mindesten, ich war nicht gekommen, um frische Luft zu schnappen. Außerdem hatte ich eine Vorliebe für stickige Atmosphären, in denen Körper klebten und Zigaretten qualmten. Ich hatte für die Natur nicht viel übrig, meistens langweilte ich mich da nur. Und ich hörte sie verkünden: »Ich hasse das Land.«
Wäre ich der andere gewesen, ich hätte auf der Stelle ins Gras gespuckt und sie in die Stadt abgeschleppt.
Weitere Kostenlose Bücher