Passagier nach Frankfurt
«Heil! Heil! Heil Franz!»
Die jungen Leute in der Gardegruppe bewegten sich mit der Selbstverständlichkeit eines Militärmanövers, das sie blind beherrschten. Alle hatten sich erhoben. Nur die alte Frau saß unbeweglich, den Kopf leicht erhoben, auf ihrem Podest. Eine neue Erregung erfüllte jetzt den Raum.
Die anderen Gäste oder Mitglieder des Haushaltstabes, was auch immer sie waren, verschwanden. Wie Eidechsen in einer Mauerritze, dachte Stafford Nye.
Die blonden jungen Männer bildeten eine neue Formation, ihre Schwerter flogen heraus, sie salutierten vor ihrer Herrin. Sie neigte den Kopf zur Bestätigung, die Schwerter wurden in die Scheide gesteckt, und die Männer drehten sich nach ihrer Entlassung um und marschierten durch die Tür aus dem Raum hinaus. Ihr Blick folgte ihnen, richtete sich dann erst auf Renata und später auf Stafford Nye.
«Was halten Sie von ihnen?», fragte sie. «Meine Jungs, mein Jugend-Korps, meine Kinder. Ja, meine Kinder. Haben sie Worte, um dies zu beschreiben?»
«Ich denke schon», sagte Stafford Nye. «Herrlich, einfach herrlich, gnädige Frau.»
«Ah.» Sie neigte den Kopf. Sie lächelte, wodurch unzählige weitere Falten auf ihrem Gesicht entstanden. Es verlieh ihr das Aussehen eines Krokodils.
«Eine furchtbare Frau», dachte er, «eine furchtbare Frau, unmöglich, dramatisch.» War das hier die Wirklichkeit? Er mochte es nicht glauben. Es konnte nur eine weitere Festspielbühne sein, auf der ein Stück inszeniert wurde.
Die Türen wurden wieder aufgeschlagen. Die Gruppe junger strohblonder Supermänner marschierte wieder ein. Diesmal schwenkten sie keine Schwerter, sondern sangen stattdessen. Sie sangen mit ungewöhnlich schöner Stimme und Wohlklang.
Nach vielen Jahren der Popmusik verspürte Stafford Nye ein unglaubliches Wohlgefallen. Das waren geschulte Stimmen. Geschult von Meistern des Sangeskunst. Sie durften ihre Stimme nicht überanstrengen oder falsch singen. Sie mochten die neuen Helden einer künftigen Welt sein, aber was sie sangen, war keine neue Musik. Es war Musik, die er kannte. Ein Arrangement des Preisliedes; irgendwo musste ein verborgenes Orchester sein, auf einer Empore oben im Raum. Es war ein Arrangement oder eine Zusammenstellung verschiedener Wagner-Themen. Es bewegte sich vom Preislied zu den fernen Echos der Rheingoldmusik.
Das Elite-Korps bildete nochmals eine Doppelgasse, durch die jemand eintreten sollte. Diesmal war es nicht die alte Kaiserin. Die saß auf ihrem Podest und wartete auf den Ankömmling, wer immer es sein mochte.
Und da kam er endlich. Die Musik änderte sich, als er eintrat. Sie spielte das Motiv, das Stafford Nye inzwischen auswendig konnte. Jung-Siegfrieds Melodie, Siegfrieds Hornruf, der sich in all seiner Jugend und seinem Triumph erhob, in seiner Herrschaft über die neue Welt, in die Jung-Siegfried kam, um sie zu erobern.
Durch die Tür, durch die Reihen seiner offensichtlichen Gefolgsleute, marschierte einer der schönsten jungen Männer, die Stafford Nye je gesehen hatte. Goldenes Haar, blaue Augen, perfekt proportioniert, wie von einem Zauberstab heraufbeschworen, auf direktem Weg der Welt der Mythen entstiegen. Mythen, Helden, Wiederauferstehung, Wiedergeburt, alles war da. Seine Schönheit, seine Stärke, seine unglaubliche Selbstsicherheit und Arroganz. Er schritt durch die Doppelreihe seiner Bodyguards, bis er vor der abscheulichen Masse von Weiblichkeit stand, die da auf ihrem Thron hockte. Er ließ sich auf ein Knie nieder, führte ihre Hand zu den Lippen, erhob sich dann und streckte einen Arm in die Höhe zur Begrüßung. Er gab den Ruf von sich, den Stafford Nye von den anderen schon gehört hatte: «Heil!» Stafford Nyes Deutsch war nicht sehr gut, aber er glaubte, die Worte zu erkennen: «Heil der Großen Mutter!»
Dann sah sich der schöne junge Held um. Ein leichtes, eher gleichgültiges Zeichen des Erkennens, als er Renata anschaute, aber als sein Blick Stafford Nye erreichte, war da echtes Interesse spürbar. Vorsicht, dachte Stafford Nye, Vorsicht! Jetzt musste er seine Rolle richtig spielen. Die von ihm erwartete Rolle. Nur – wie zur Hölle sah diese Rolle aus? Was machte er hier? Was wollten er und die junge Frau angeblich hier? Warum waren sie gekommen?
Der Held sprach:
«So», sagte er, «wir haben also Gäste!» Und er lächelte mit der Arroganz eines jungen Mannes, der sich seiner großen Überlegenheit über jedes andere Wesen auf dieser Welt bewusst war. «Willkommen, liebe
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