Passwort: Henrietta
die Halle und trat durch den Eingang zum Kasino.
Auf der Schwelle zögerte sie kurz. Der Raum war voller Menschen, obwohl es erst nachmittags war. Sie hörte das Rattern der Maschinen, die die Jetons sortierten, und das Schwirren der stählernen Roulettekugeln. Bedienungen schlenderten umher und boten kostenlose Drinks an, die ernsthaften Spieler aber, wusste Harry, tranken nichts außer Kaffee. Sie seufzte, ging an den Spieltischen vorbei zur Rückseite des Raums.
Dort lag der Käfig, wo Frauen mittleren Alters hinter Gitterstäben Dollars in Jetons umtauschten. Harry stellte sich hinter einem Mann mit Stetson an und hievte ihren Koffer auf den Tresen. Dann drehte sie sich um und ließ den Blick über die Spieltische schweifen.
Direkt vor ihr wurde High-Stakes-Poker gespielt, übrig waren nur noch zwei Spieler: ein schmallippiger Mann in einem Geschäftsanzug und ein junger drahtiger Italiener mit Sonnenbrille. Auf dem Tisch lagen zwei Asse und eine Kreuz-Drei. Nach dem leichten Schulterzucken des Italieners zu schließen, hatte er wahrscheinlich kein drittes Ass.
Harry wandte sich wieder ihrem Koffer zu. Mit den Fingern fuhr sie über die abgewetzten Stellen auf dem schwarzen Vinyl. Dillon hatte ihm mit seinen Fußtritten einige weitere Beulen zugefügt, ansonsten aber war das Pokerset ihres Vaters unversehrt.
Sie drückte mit den Daumen auf die rostigen Schlösser und ließ ihn aufschnappen. Dann hob sie den Deckel an, um hineinzuspähen. In den mit Filz ausgelegten Fächern lagen, dicht gepackt, acht Jetonreihen. Zwei Drittel davon waren karmesinrot, die übrigen gleichmäßig in goldene und saphirblaue aufgeteilt. Harry holte zwei der karmesinroten heraus, drehte sie in den Fingern hin und her und bewunderte ihren weichen Perlmuttglanz und das Klacken, das sie von sich gaben, wenn sie aufeinanderstießen. Sie waren größer und ovaler als die Plastik-Spielchips, die ursprünglich im Koffer gelegen hatten. Harry strich mit dem Daumen über die Keramikoberfläche eines Jetons. Der Name des Kasinos war eingraviert, dazu der Nennwert. Er belief sich auf einhunderttausend Dollar.
Nachdem sie vor Wochen mit dem Koffer voller Geld die Rosenstock Bank verlassen hatte, war sie zunächst in ihr Hotel zurückgekehrt. Sie hatte nachdenken müssen. Daraufhin war sie ins Atlantis Kasino gefahren. Rousseau war außer sich gewesen, als sie ihm erzählt hatte, was sie wollte. Aber solange sie Beweise für seine Insidergeschäfte in der Hand hielt, wussten sie beide, dass ihm nichts anderes übrigblieb. Er hatte beim Kasino-Manager für sie gebürgt, der mit Vergnügen den Großteil ihres Geldes in Jetons umgetauscht hatte. Trotz des hohen Nennwerts waren es eine Menge Jetons, selbst für das Atlantis, so dass Rousseau die Hilfe zweier weiterer Kasinos in Anspruch nehmen musste, damit die gesamte Summe eingelöst werden konnte. Keiner wollte eine Zockerin mit so viel Geld abweisen.
Hinter ihr war ein Laut des Erstaunens zu hören, sie drehte sich um. Der Croupier am Pokertisch hatte die Turn-Karte umgedreht: eine weitere Drei. Der Tisch zeigte nun zwei Paar aus Assen und Dreien. Der Italiener stützte den Kopf auf die Hände, der Mann im Anzug war noch immer wie eine Echse in der Sonne. Harry gestand ihm ein Full House mit einem Drilling aus Assen zu.
Der Mann mit dem Stetson trat an den Schalter. Harry rückte hinter ihm nach, noch immer den Jeton in der Hand. Sobald sie das Geld gesehen hatte, hatte sie gewusst, dass sie nicht alles hergeben konnte. Bilder ihres Vaters waren ihr durch den Kopf gegangen: seine Arme, die er ihr auf dem Gefängnistisch zugestreckt hatte; seinen regungslosen, wie toten Körper, der nur durch Schläuche am Leben erhalten wurde. Sie wollte ihm etwas geben, für das es sich lohnte, wieder aufzuwachen.
Also hatte sie siebeneinhalb Millionen Euro in Jetons umgetauscht und sie im Pokerset ihres Vaters verstaut. Das restliche Geld hatte sie in bar behalten, hatte den schwarzen Koffer der Rosenstock Bank zur Hälfte mit Druckerpapierpaketen ihres Hotels gefüllt und die noch übrigen Geldbündel in fünf Lagen darüber gepackt. Eineinhalb Millionen Euro pro Lage. Sie war davon ausgegangen, dass der Prophet in ihrem abgekarteten Spielchen irgendwann die Koffer öffnen würde und sie sich mit den Geldscheinen etwas Zeit erkaufen könnte. Zu schade, dass es nicht mehr so weit gekommen war, trotzdem hatte ihr das Geld im Labyrinth wahrscheinlich das Leben gerettet.
Harry starrte auf die Chips in
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