Pasta Mortale
erfinden müssen. Das erste Mal seit
Langem, also mindestens seit, na gut, einigen Wochen fühlte sich Palinski
wieder so richtig wohl und glücklich. Ja, selbst diese verdammte
Schreibblockade konnte ihn …, im Moment zumindest.
Die Stimmung wurde immer besser, die Gespräche immer
persönlicher. Wilma fand, dass es langsam, aber sicher Zeit wurde, Mario die
wunderbare Nachricht zu überbringen, die sie selbst erst vor Kurzem von Silvana
erhalten hatte. Damit er die Konsequenzen daraus noch richtig erkennen konnte,
ehe sich ein dichter Barolo-Nebel über ihn senken und seine Sicht nachhaltig
behindern würde.
Mit »Weißt du übrigens, wer mich heute angerufen
hat?« setzte sie den ersten Schritt zu dieser doch recht bedeutsamen
Offenbarung. Palinski, den Mund voller Nudeln, blickte sie nur fragend an. »Der
Anruf kam aus Südtirol.«
Mario schluckte rasch hinunter. »Sag bloß, es war Silvana?«
Ein Lächeln ging über sein satt-zufriedenes Gesicht. »Ihr wisst doch, wer
Silvana ist?«, fragte er die Wallners, die natürlich wussten. »Wie geht es ihr
denn?«
Wilma hatte sich ursprünglich für die schonendere, aber
zeitaufwendigere Version entschieden, in Anbetracht der fortgeschritten Stunde
aber ihre Meinung geändert. »Ihr geht es sehr gut. Sie lässt dich grüßen und
dir ausrichten, dass du Anfang nächsten Jahres Großvater wirst.« So, jetzt war
es heraußen.
»Hahaha«, lachte Palinski, der sich gerade wieder eine Gabel
voll Spaghetti in das unersättliche Maul geschoben hatte.
»Großvater sein ist ja nicht schlimm«, kuderte Helmut Wallner
in den Disput hinein, »bloß jeden Morgen neben einer Großmutter im Bett
aufzuwachen. Ui je.«
Gott, war das lustig, dachte Wilma leicht sauer, und Frankas
Blick verriet, dass sie ähnlich fühlte. Heidenreich hielt sich diplomatisch
heraus, aber die beiden anderen Männer lachten los wie verrückt, fast
anfallsartig, und Wallner klopfte dem ›Opa‹ anerkennend kräftig auf den Rücken.
Und was nun passierte, war wirklich lustig. Zumindest für die nicht unmittelbar
Betroffenen.
Palinski war offenbar jetzt erst bewusst geworden, was Wilmas
Aussage bedeutete. Dazu kamen das blöde Lachen und auch noch der Schlag auf den
Rücken. Wie das physikalisch-physiologisch alles zusammengewirkt hatte, konnte
auch im Nachhinein nicht mehr genau festgestellt werden. Das Ergebnis war aber
eindeutig. Eine besonders lange Spaghetti hatte sich die plötzlich veränderten
Druckverhältnisse zunutze gemacht und einen eigenwilligen Weg über den Gaumen
hinauf zur Nase gesucht, war dann irgendwo falsch abgebogen und schaute jetzt
plötzlich in einer Länge von etwa vier Zentimetern aus Palinskis linkem
Nasenloch heraus.
Da hing sie nun, die kecke Nudel, und genoss die
Welt aus dieser neuen Perspektive. Dazu noch das verdutzte Gesicht Marios, das
fanden jetzt wirklich alle lustig, bis auf einen. Selbst ›Mamma Maria‹ hatte
Tränen in den Augen, diesmal aber ausnahmsweise nicht vor Rührung.
Palinski konnte dagegen überhaupt nicht lachen, denn die
Irrfahrt der Nudel durch seine Physiognomie war schlicht und ergreifend mit
Schmerzen verbunden. Es tat zwar nicht ganz so weh, dass man laut aufschreien
hätte müssen. Aber der ständig mittelstark peinigende Druck und das seltsame
Gefühl, das das Nahrungsmittel aus Hartweizengrieß da drinnen verursachte,
waren schlicht beängstigend. Denn was bewundernswert exakt al dente war, war
noch lange nicht auch al naso. Diese Gegend war viel empfindlicher als die der
Beißerchen.
Und dazu kamen noch diese entwürdigende Optik und das
beschämende Ausgelachtwerden.
So schnell sich die lange Nudel ihren Weg vom Gaumen über die
Nase ins Freie gebahnt hatte, so langwierig war es jetzt, den ganzen Prozess
wieder zurückzuführen. Nach etwas mehr als sechs Minuten war das lästige,
insgesamt immerhin fast 20 Zentimeter lange, erstaunlich reißfeste Ding endlich
wieder heraus und Palinski nach zwei großen Grappa weitgehend schmerzfrei.
Zumindest körperlich, der seelische Schaden seiner Spaghetti al naso würde ihn
sicher bis an sein Lebensende begleiten.
So saß er leicht geknickt und ebenso betrunken da
und zog eine wahrlich nicht erfreuliche Zwischenbilanz seines Lebens:
überarbeitet, ungeliebt, nicht ernst genommen, unter einer Schreibblockade und
der daraus resultierenden Existenzangst leidend. Ganz schön, was da so auf seinen
Schultern lastete. Dazu seit eben noch
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