Pasta Mortale
der diese
Kritzeleien transkribierte. Und danach erst jemanden, der mit den
Aufzeichnungen auch inhaltlich etwas anfangen konnte. Aber das würde nur Geld
kosten, und so viel war daran sicher gar nicht zu verdienen.
Verdrossen legte sie das kleine schwarze Buch weg und vergaß
es auch gleich darauf wieder.
*
Dr. Arthur
Bachmayr-Wiesloch war einer der führenden Psychiater Wiens und trotz seiner
relativen Jugend von 46 Jahren bereits a. o. Professor für allgemeine
klinische Psychiatrie. Ihm gegenüber saß einer der interessantesten Fälle
seiner bisherigen wissenschaftlichen Laufbahn, der 55-jährige ZweiVier. Das war
natürlich nicht sein richtiger Name, sondern die laufende Nummer, die den
Behandlungsbeginn signalisierte. Namen waren für den Professor Schall und
Rauch, mit denen er sich nicht weiter belastete. Und so nannte er seine
Patienten wie ihre laufende Nummer. Das war auch gut aus Gründen der
Patientenvertraulichkeit.
ZweiVier hatte vor vier Jahren bei einem schweren
Verkehrsunfall ein Schädel-Trauma erlitten, das einen irreparablen Schaden
hinterlassen hatte. Ein Defizit, das den Mann um ein Vielfaches härter traf als
einen Normalsterblichen, denn ZweiVier war in seiner bisherigen Profession
einer der Besten gewesen. Und ohne diese speziell ausgeprägte Fähigkeit
beruflich ebenso out wie ein kastrierter Zuchtbulle.
ZweiVier war vor knapp einem halben Jahr das erste Mal zu
Bachmayr-Wiesloch gekommen. Der Mann war zu dem Zeitpunkt physisch wieder
völlig genesen gewesen, aber psychisch in einem erschreckenden Zustand. Er war
hochgradig manisch gewesen, hatte dann wieder massiv unter Depressionen
gelitten und den Idealtypus eines Suizidkandidaten verkörpert.
Der Psychiater hatte mehr als drei Monate gebraucht, um das
Vertrauen seines Patienten zu gewinnen. Damit waren die Voraussetzungen für die
Hypnotherapie geschaffen gewesen, eine Behandlungsform, auf die der a. o. Professor
spezialisiert war und von der er sich gerade im Falle ZweiViers viel versprach.
Ging es doch vor allem auch um die Steigerung des Selbstwertgefühls des
Patienten sowie um den permanenten Abbau des sich täglich neu aufbauenden
Stresses.
»Wie geht es Ihnen heute, ZweiVier?«, eröffnete
der Arzt jetzt das Gespräch, nachdem er den Patienten in Trance versetzt hatte.
»Haben Sie noch immer diese schlechten Träume? Oder wirkt sich die
Antistresstherapie schon aus?«
Der Patient wirkte aufgekratzt und gut gelaunt,
aber nicht auf diese hektische, aufgesetzte Art wie am Anfang der Behandlung,
sondern durchaus ausgeglichen. Fast schon in sich ruhend, dachte der Professor
stolz. Erstaunlich, wie rasch manche Menschen auf seine Behandlung ansprachen.
»Sehr gut, Herr Professor«, bestätigte ZweiVier
den optischen Eindruck. »Ich treffe meine Feinde, also die Leute, die mich
nicht mögen, einen nach dem anderen. Aber sobald ich gehe, bin ich über die
Kränkungen hinweg. Dann ist dieser Teil meines Problems ein für alle Mal
gelöst, denke ich.«
»Und wie haben Sie das letzte Teilproblem gelöst?«, wollte
Bachmayr-Wiesloch routinemäßig in Erfahrung bringen. »Was war denn das wirklich
befreiende Element Ihres Handelns?«
»Es war wunderbar«, ZweiVier fing an, richtig zu schwärmen.
»Der Lärm, dann der Schock und zuletzt diese Verwirrung. Wenn noch keiner weiß,
was eigentlich los ist. Bloß, dass etwas los ist. Es war wunderbar, erhebend.
Das wird dieser Mistkerl von Felbermeyer nie vergessen. Nie, nie, nie. Mir
haben bloß die Fische leidgetan«, räumte er ein. »Andererseits, die hätten
ohnehin früher oder später sterben müssen.«
Im Kopf des Psychiaters wurden ungeheure Alarmsysteme
gleichzeitig in Gang gesetzt. Was war das? Was hatte sein Patient gesagt, habe
er getan? Das gab es doch nicht. Sicher hatte er sich nur verhört.
»Was war da mit Fischen?«, Bachmayr-Wieslochs Stimme zitterte
leise, als er das Gespräch nochmals auf den heiklen Punkt brachte.
»Ich habe heute Mittag von einem Motorboot aus
mit einem Steyr-Mannlicher-Gewehr auf das große Meeresfischbecken des
Restaurants ›Fischerparadies‹ geschossen und es damit komplett zerstört«,
berichtete ZweiVier nochmals voller Stolz. »Doktor«, plötzlich hatte er einen
völlig lässigen Ton angenommen, »dieses Gefühl war unbeschreiblich. So was von
befreiend. Ich bin Ihnen ungemein dankbar.«
Dem Psychiater wurde es mit einem Mal heiß und kalt. Er
fühlte sich, als ob er
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