Pasta Mortale
zerbarst mit gewaltigem Getöse,
kleine und größere Splitter flogen auf der Terrasse herum, und mehrere 10.000 oder
noch mehr Liter Salzwasser ergossen sich in die Gegend. Und mit ihnen
zahlreiche Meerbarben, Seehechte, See- und Rotzungen und zwei Loup de Mer. Und
im Zentrum des exklusiven Geschehens, wie könnte es auch anders sein, der
Verleger Franz Ferdinand Lehberger.
4.
»Der bekannte Anwalt hatte zu viel getrunken und
lenkte den schnittigen Sportwagen viel zu schnell durch die mitunter engen
Kurven der Wiener Höhenstraße. Die attraktive junge Frau neben ihm rekelte sich
lasziv in einem der teuren Ledersitze, die dem Wageninneren diesen
unnachahmlichen Geruch gaben. Sie war für die Jahreszeit zu leicht gekleidet,
würde das später aber mit dem auf dem Rücksitz liegenden Polarfuchsmantel
kaschieren. Der Schneefall wurde immer stärker, sodass die bereits auf höchster
Stufe arbeitenden Scheibenwischer Mühe hatten, die Sicht auf die Fahrbahn im
notwendigen Ausmaß zu gewährleisten.
Larissa Ivanowa, das war der Name der scharfen Rothaarigen,
die Staranwalt Dr. Lorenz Mauser-Pechtl – wie konnte man einen Mann
nur Mauser-Pechtl nennen, fuhr es Palinski durch den Kopf, als er zum …,
na, es mussten bisher mindestens 50 Mal gewesen sein, also zum, sagen wir, 51.
Mal begann, das erste Kapitel seines neuen Romans zu lesen. Dem, das bereits
seit mehr als sechs Monaten fertig war. Kurz bevor ihn die Schreibblockade
überkommen hatte.
Übrigens, Mauser-Pechtl sollte man überhaupt keinen Menschen
nennen, vielleicht noch eine Zeichentrickfigur von Disney, irgendeinen Gegner
von Dagobert Duck. Oder einen Mäusedetektiv. Aber einen Menschen, nein.
Je öfter er diese Zeilen las, desto weniger gefielen sie ihm.
Er konnte eigentlich nicht verstehen, warum ihm dieses Geschreibsel früher
gefallen hatte. Wenn er ehrlich war, dann war das doch der reinste Mist.
Vielleicht hatte ihn die Schreibblockade ja nur eingeholt, um ihn daran zu
hindern, diesen Mist zu Ende zu bringen.
Palinski schloss die Datei und fuhr den PC herunter. Alles im Leben
hatte seine Zeit. Vielleicht war seine Zeit des Schreibens einfach schon wieder
vorbei. Der Gedanke sorgte für einen neuen Schub Unsicherheit und Angst. Was
sollte aus ihm werden ohne die Anerkennung, nein, Befriedigung als
Schriftsteller? Er hatte das gerade in den letzten Monaten ungemein genossen.
Endlich hatte er etwas gehabt, das besser war als ein akademischer Titel.
Nämlich den Ruf, ein interessanter Formulierer, fantasievoller Erzähler und
geistreicher Plauderer zu sein. Und das sollte schon wieder vorüber sein?
Palinski war nach Weinen zumute.
Die polyfone Version der Habanera durchbrach die von
Selbstmitleid nur so triefende Stimmung. Harry hatte ihm diesen neuen Klang bei
seinem letzten Besuch in Wien aus dem Internet heruntergeladen. Klang wirklich
nicht schlecht, aber im Moment ging Palinski die Musik auf die Nerven.
Es war Miki Schneckenburger, und er hatte zwei Nachrichten
des Ministers für seinen Freund Mario. »Welche willst du zuerst hören«, wollte
Miki wissen, »die gute oder die schlechte?«
»Versuch’s mit der guten, ich bin heute ohnehin deprimiert
genug«, wünschte sich Palinski.
»Also gut. Fuscheé wird noch heute Abend Valeria Modrianows
Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen unterschreiben.«
»Das ist ja wunderbar«, Palinski war wirklich
erfreut und erleichtert. »Dann muss Valeria wahrscheinlich auch nicht mehr
diese seltsame Reise nach Rumänien mitmachen, oder?« Und stand ab sofort wieder
als Orlofsky zur Verfügung. »Da ist der Minister aber sicher über seinen
eigenen Schatten gesprungen. Bei der derzeitigen Stimmung ist das ja fast
Verrat an der offiziellen Regierungspolitik.«
»Der Mann wird häufig unterschätzt«,
Schneckenburger hatte die Stimme unwillkürlich etwas gesenkt. »Wenn er sich
etwas in den Kopf setzt, lässt er sich nicht davon abbringen. Aber jetzt zum
unerfreulichen Teil der Nachricht. Bei der Fremdenpolizei weiß kein Mensch etwas
davon, dass Frau Modrianow in Schubhaft genommen worden sein soll. Es sind
keine entsprechenden Maßnahmen veranlasst oder durchgeführt worden. Sie
befindet sich daher auch nicht im Gewahrsam der Behörden.«
Palinski brauchte einige Sekunden, um die Tragweite dieser
Mitteilung zu verstehen. »Ja«, er hatte Schwierigkeiten zu formulieren, »wo,
wo, wenn sie nicht bei der Fremdenpolizei ist, wo ist Valeria
Weitere Kostenlose Bücher