Pasta Mortale
So konnte es durchaus geschehen,
dass er ganz kribbelig wurde, wenn er eine Woche nichts von ihr hörte.
Und so hatte Wilma Carola einfach eine Nachricht geschickt
und die Lektorin und ihren Mann Albert für einige Tage nach Wien eingeladen.
Da die beiden Harbachs nicht nur nette, sondern auch
unternehmenslustige Menschen waren, hatten sie diese Einladung gerne
angenommen.
Das war auch der Grund, warum sich in der aus Stuttgart
kommenden und eben im Anflug auf Wien befindlichen Maschine zwei Passagiere
namens Harbach befanden. Wilma Bachler dagegen bezog, Palinskis ersten Roman
als Erkennungszeichen in der Hand, gerade Position in der Ankunftshalle.
Eine halbe Stunde später waren die drei schon unterwegs in
die Innere Stadt, wo Wilma ihre neuen Bekannten zum Mittagessen einladen
wollte.
*
Die Mittagsnachrichten im Rundfunk wurden vom
sensationellen Rücktritt des bisherigen Innenministers beherrscht. Vertreter
der Oppositionsparteien und einiger NGO sahen ihre Kritik an der herrschenden
Asylpolitik bestätigt. Der Bundeskanzler wieder war mit mühsam beherrschter
Stimme um Schadensbegrenzung bemüht und kündigte die Bekanntgabe des neuen
Ministers für den kommenden Montag an.
Botschafter Dr. Arenbach saß in seinem Büro im
Außenministerium und lachte laut auf. Irgendwie bewunderte er diesen Fuscheé.
Hatte jahrelang den harten Mann markiert, obwohl er offenbar ein Weichei war.
Zumindest ein verkappter Gutmensch. Tat, was er für richtig hielt, und kümmerte
sich nicht um das Gerede in der Partei. Arenbach wünschte sich, ebenso viel Mut
zu haben und sich zu dem zu bekennen, was ihn eigentlich ausmachte. Aber das
war ein Luxus, den er sich nicht leisten konnte.
Inzwischen hatte sich der Nachrichtensprecher das nächste
Thema vorgenommen, das Auffinden der seit einigen Tagen verschwunden gewesenen
Valeria Modrianow. Dass die Leiche so schnell entdeckt worden war, erschreckte
Arenbach. Das stellte seine Pläne völlig auf den Kopf. Fieberhaft überlegte er,
was er der Polizei, die natürlich auch ihn zu verschiedenen Punkten befragen
würde, sagen sollte.
Was? Valeria war bis auf leichte Verletzungen an den Beinen wohlauf?
Das konnte doch nur ein Irrtum sein. In dem Zusammenhang war bereits die
49-jährige Beatrix Arenbach festgenommen worden. Nach dem vermutlichen
Drahtzieher der als Schubhaft kaschierten Entführung, dem 53-jährigen
Diplomaten Dr. Daniel Arenbach, wurde noch gefahndet.
Der Botschafter saß wie versteinert da und musste jetzt auch
noch hören, wie er sich durch seine eigene Dummheit verraten hatte. Verdammt,
das mit der Überwachung der Amtsanschlüsse musste er glatt übersehen haben. Er
konnte sich nicht erinnern, davon gelesen zu haben. Aber sehr klug war es
natürlich nicht gewesen, dieses Gespräch von einem Amtsanschluss aus zu führen.
Das waren seine Nerven gewesen.
Das mit dem Rektor wussten sie jetzt also auch, was
zweifellos zu einer neuerlichen Untersuchung der seinerzeitigen Vorfälle in
Bukarest und Kischinau führen würde. Und damit zwangsläufig die Rolle aufdecken
würde, die er dabei gespielt hatte. Dabei hatte er sich zunächst nur aus rein
menschlichen Gründen an den Malversationen im Konsulat beteiligt. Aber dann
hatte ihn das verdammte Geld geschafft. Korrumpiert, einfach so. Nikolaj
Modrianow war ihm auf die Schliche gekommen und hatte ihn auffliegen lassen
wollen.
Das Ganze hatte wie eine antike griechische Tragödie
begonnen, sich unaufhaltsam wie eine solche weiterentwickelt und würde wohl
auch so enden.
In diesem Moment schämte sich der Botschafter, wie er sich
nie zuvor in seinem Leben geschämt hatte. Wie hatte es bloß so weit kommen
können? Eigentlich hatte er doch die meiste Zeit seines Lebens nur das Beste
gewollt. Leider nicht immer. Das war das Problem, das einen unweigerlich
irgendwann einholte. Bei ihm schien das jetzt der Fall zu sein.
Er holte einen Bogen seines offiziellen Briefpapiers heraus,
schraubte seine goldene Füllfeder auf, ein Geschenk des Ministers zum
50. Geburtstag, und begann zu schreiben.
Etwa 20 Minuten später war es so weit. Während er seine
Unterschrift unter das insgesamt dreiseitige Schreiben setzte, klingelte das
Telefon. Es war der Portier am Haupteingang, der ihm mitteilte, dass ihn zwei
Herren von der Polizei sprechen wollten.
»Ich lasse bitten«, sagte Arenbach würdevoll. Dann zog er
seine leicht geöffnete Krawatte wieder zu, prüfte den Sitz
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