Pastetenlust
Jahresgehalt entsprach, war für ihn mit freiem Auge zu erkennen. Der
auffallendste Unterschied bestand für den exzellenten Beobachter Wallner aber
im Ausdruck von Lettenbergs Augen. Das lebendige Feuer, der irgendwie
hypnotisch wirkende Blick des jungen Mannes war einer gleichgültigen, seelenlosen
Reflexion abgestumpfter Selbstzufriedenheit gewichen.
„Auf diesem Bild wirkt Herr Lettenberg so gezähmt, angepasst,
irgendwie geläutert“, umschrieb Wallner vorsichtig seine Beobachtungen.
„Gezähmt ist nicht der richtige Ausdruck“, korrigierte die
Waldmeister, „kontrolliert trifft es eher. Natürlich hat er sich auch anpassen
und damit seine exzessiven Neigungen eindämmen müssen. Aber sie sind immer noch
da gewesen, waren bloß unter Kontrolle. Zumindest meistens.“
„Entschuldigen Sie die intime Frage, aber hatten sie zu
dieser oder zu einer anderen Zeit mehr als nur eine berufliche Beziehung zu
Lettenberg?“
„Nachdem ich ihn kennengelernt habe, sind wir etwa zwei Jahre
zusammen gewesen“, bekannte die Frau ohne Umschweife. „Mit seinem beruflichen
Erfolg ist dann auch eine gewisse Entfremdung eingetreten. Wir haben rasch die
Konsequenzen gezogen. So war es uns möglich, Freunde zu bleiben und weiter
zusammenzuarbeiten.“
Wallner legte die Fotos zur Seite und brachte das Gespräch in
die Gegenwart zurück. „Was meinen Sie, in welcher Beziehung könnte Lettenberg
letzte Nacht, sagen wir einmal, rückfällig geworden sein?“
Marion Waldmeister überlegte lange. „Ich würde auf
Glücksspiel tippen, möglicherweise auch auf exzentrischen Sex.“ Wallner
notierte sich eben ›Casinos fragen‹, als die Frau fortfuhr. „Dabei ist er in
allen Casinos in Deutschland und Österreich gesperrt, auch in einigen anderen
Ländern.“ Der Inspektor strich seine letzte Aufzeichnung und ersetzte sie durch
›Private Spielclubs ?‹
„Bevorzugte Lettenberg spezielle sexuelle Praktiken?“, als
ehemaliger Klosterschüler hatte Wallner bei Fragen dieser Art gelegentlich noch
widersprüchliche Gefühle. Etwa so, wie ein Diabetiker, der versehentlich in
einer Konditorei eingesperrt wird.
„Er hat sicher alles probiert, was sich ergeben hat. Und
einiges mehr dazu erfunden.“ Sie lächelte wehmütig. „In diesen Dingen war er
außerordentlich kreativ. Falls ich mich auf seine zuletzt bevorzugte Praxis
festlegen müsste, würde ich auf SM tippen.“
Jetzt lief der Diabetiker Gefahr, ganz in den Honigtopf zu
plumpsen. Wallner hoffte nur, jetzt nicht rot zu werden. Zwar bestätigte ihm
seine Freundin immer wieder, wie anziehend sie seine Schüchternheit in manchen
Situationen fand. Tatsächlich hatte sie sogar sexy gesagt. Im Augenblick wäre
ihm ein roter Schädel aber echt unangenehm gewesen.
„War Lettenberg der gebende oder der nehmende Teil?“, zwang
sich Wallner zu einer für die weiteren Ermittlungen unabdingbaren Frage.
„Dabei geben und nehmen beide, jeder auf seine Art“, klärte
ihn die Waldmeister auf. „Wenn Sie aber mit g eben
quälen und mit nehmen leiden meinen, dann hat Lettenberg ausschließlich
genommen.“ Sie blickte sich um, dann fragte sie Wallner, ob er ihr eine Tasse
Kaffee bestellen könne. Dieser konnte und sie fuhr fort: „Wenn ich mich
entscheiden müsste, würde ich auf das Spielen tippen. Dem war er rettungslos
verfallen. Sexuell hat er sich, soviel ich weiß, etwas beruhigt, seit er vor
knapp zwei Jahren geheiratet hat.“
Sophie Lettenberg, gebürtige Birkweiler, war 15 Jahre jünger
als ihr Mann. Die gebürtige Salzburgerin hatte ihren Jürgen bei Dreharbeiten am
Reiterhof ihrer Großeltern in der Nähe von Eugendorf kennengelernt. In
kürzester Zeit waren sich beide gegenseitig verfallen, so Marion Waldmeisters
melodramatischer Befund. Sophie hatte ihren kurz zuvor begonnenen Turnus am
Salzburger Landeskrankenhaus von heute auf morgen aufgegeben und mehrere wilde
Monate mit Lettenberg verbracht. Dann wurde plötzlich und für alle überraschend
geheiratet. „Alle anderen Frauen hat Jürgen nach spätestens sechs Monaten in
die Wüste geschickt, Sophie hat er geheiratet. Es muss also etwas besonders an
ihr sein“, stellte Frau Waldmeister fest. „Ich bin bloß noch nicht darauf
gekommen, was“, fügte sie spitz dazu.
„Wohnt Sophie Lettenberg auch in diesem Hotel?“, Wallner
wollte so rasch wie möglich mit der Frau des Toten sprechen.
„Sie ist nicht einmal in Wien. Sophie hatte vor zwei Wochen
einen
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