Pastetenlust
doch unmittelbar
und nicht gedämpft durch Polstertüren genießen konnte.
„Ich habe schon befürchtet, Sie kommen nicht”, flüsterte ihm
die lustige Witwe zu. Ihr intensives, für eine Frau ihres Alters viel zu
schweres Parfüm verschlug ihm fast den Atem, während er sich auf den Stuhl in
der zweiten Reihe niederließ. Außer ihnen befand sich noch ein Paar in der
Loge, das ihn interessiert ansah und freundlich nickte. „Guten Abend”,
flüsterte Palinski. Wer zu ihm freundlich war, zu dem war auch er freundlich.
Zumindest bis auf Widerruf.
Während der Maler
Cavaradossi der schönen Sängerin Tosca Floria seiner Liebe versicherte, drehte
sich Sophie Lettenberg auf ihrem Sessel um 90 Grad und stützte den Ellbogen
ihres rechten Armes auf Palinskis linkem Knie auf. In der Folge verstärkte sie
den Druck auf sein Bein und schob den Ellbogen immer mehr an den Äquator heran.
Das wäre unter anderen Umständen möglicherweise nicht unangenehm gewesen. In
Zusammenwirken mit dem Druck der viel zu engen Hose fühlte Palinski allerdings,
wie sich zunehmend Beklommenheit bei ihm breit machte. Vorsichtig versuchte er,
seinen Stuhl etwas nach hinten zu schieben und so der so scheinbar unerbittlich
fortschreitenden Eroberung Äquatorialafrikas durch die Witwe zu entgehen.
Alleine, ein hinter dem Stuhl befindlichliches Hindernis beendete den
Fluchtversuch bereits nach höchstens 5 Zentimetern Raumgewinn. Eine Distanz,
die das geile Frauenzimmer in Sekundenbruchteilen wieder überbrückt hatte. Dazu
trug ihm die missglückte Aktion auch noch den scherzhaft vorgeflüsterten
Vorwurf: „Na, Sie werden doch keine Angst vor mir haben” ein. Jetzt konnte nur
noch eines helfen.
Palinski tauschte die herrliche Musik und die dabei in seinem
Kopf entstehenden Bilder gegen die Vorstellung, wie die böse Frau neben ihm dem
armen Lettenberg einen Plastiksack über den Kopf zog und so lange zuhielt, bis
der Arme keinen Muckser mehr von sich gab. Dann brach sie in ein irres Lachen
aus und begann ihr schändliches Tun wieder von vorne.
Nachdem er die Szene drei Mal vor seinem geistigen Auge hatte
abspielen lassen, das schreckliche Lachen ging ihm dabei wie ein Tinitus nicht
mehr aus den Ohren, passte die Hose wieder.
Das plötzliche Klopfen seines Handys verschaffte ihm den
unerwarteten, doch höchst willkommenen Grund, sich der peinlichen Situation
völlig zu entziehen. Zumindest vorläufig. Er nahm das Mobiltelefon heraus,
deutete Sopie Lettenberg etwas, das: ›Dingender Anruf, tut mir leid‹ bedeuten
sollte, stand auf und verließ die Loge.
Es war Franca Aigner, die ihn über die jüngste Entwicklung im
Falle Lettenberg informieren wollte. Palinski war völlig überrascht, damit
hatte er wirklich nicht gerechnet, obwohl er im Computer zahlreiche Varianten
durchgespielt hatte.
„Danke, Franca, Ich darf doch Franca sagen?” Er durfte,
bestand aber im Gegenzug darauf, dass sie Mario zu ihm sagte.
„Ich werde jetzt versuchen, die zuständigen Leute zu
informieren. Sind Sie in der nächsten Stunde erreichbar?” Franca bejahte und
kühn geworden erbat sich Mario noch einen Gefallen.
„Franca, könnten Sie so nett sein und mich in, sagen wir,
etwa einer Stunde nochmals anrufen.” Das war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Aber
man konnte ja nicht wissen, was der wilden Witwe während des zweiten Aktes noch
alles einfallen würde.
Einsetzender Applaus und die sich kurz danach öffnenden
Logentüren kündeten das Ende des ersten Aktes an. Rasch überschlug Palinski
seinen Bestand an Barem. Es dürften so an die achtzig Euro sein, also genug für
zwei Gläser Champagner. Dass er die Frau nicht an sein Allerheiligstes
heranließ, bedeutete ja nicht, dass er ein Rüpel war. Im Gegenteil, freundlich
und korrekt war jetzt die richtige Strategie.
Sophie Lettenberg stellte das Paar aus der Loge mit: „Gerda
und Walter Kleinsüß, sehr gute Freunde von mir, vor. Und das ist Mario
Pakinski, ein Spezialagent der Polizei”, fügte sie hinzu.
Palinski verzichtete auf eine Richtigstellung, sollten die
doch glauben was sie wollten.
Walter Kleinsüß war
Eigentümer und Chef des Reiterhofes ›Hellertalmühle‹ nordöstlich von Wien.
Palinski erinnerte sich vage an den Mann. „Wir waren früher, so vor 11, 12
Jahren öfters bei Ihnen”, erzählte er. „Dann war das Interesse meiner Tochter
für das Reiten plötzlich weg.”
„Sie kommen mir auch
irgendwie bekannt vor”, setzte
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