Pastetenlust
Oberhand über die traurige Nachricht zu
gewinnen schien, wischte die Witwe weg wie nichts. Wahrscheinlich dachten die
beiden, dass der Schock mit vollem Magen leichter zu ertragen war als mit
leerem. Und damit hatten sie sicher auch nicht ganz unrecht .
Ganz abgesehen von der Pietätlosigkeit und dem Mangel an
Sensibilität, den diese Frau an den Tag legte, wurde Palinski durch die
unglaubliche Penetranz Sophie Lettenbergs irritiert, mit der sie ständig
versuchte, ihn zu vereinnahmen.
Wir laden die Familie Kleinsüß zum Abendessen ein, so eine
Frechheit.
Das bedeutete doch nur, dass er zahlen sollte. Da die Witwe
dabei sicher nicht an den Würstelstand gegenüber der Oper gedacht hatte,
bedeutete das nichts Gutes. Das Kreditkartenlimit dieser Woche war schon
aufgebraucht und mit dem Betrag, den er in bar mitführte, konnte er sich
bestenfalls ein billiges Beisl leisten. Aber wozu überhaupt, er wollte einfach
nicht und damit basta. Notfalls musste er wieder einmal eine schon einmal
bewährte Notbremse ziehen. Etwas brutal, vor allem auch ihm selbst gegenüber.
Aber effektiv.
Auf der Bühne hatte Cavaradossi inzwischen begonnen, die
Sterne anzusingen. In sicherer Entfernung von der Witwe sitzend beschloss
Palinski, die restliche Aufführung zu genießen. So gut es eben ging.
Meine erste Tosca habe ich in der römischen
Oper erlebt. Im ersten Jahr, nachdem Wilma und ich zusammen gezogen waren. Eine
Woche Rom als Äquivalent für eine Hochzeitsreise. Am Tag der Aufführung haben
wir die Originalschauplätze besucht. Sant Andrea della Valle, den Palazzo
Farnese und natürlich auch die Engelsburg. Es war wunderbar. Am Abend hat mich
die Musik in einem Maß ergriffen, das ich nie für möglich gehalten hätte und
danach nie wieder verspürt habe. Wilma schien es ebenso ergangen zu sein. Das
war etwas, was uns sehr verbunden hat. Viele Jahre später hat sie mir
gestanden, dass sie die Aufführung zwar genossen, aber schon eine b essere gesehen hatte. Aber sie hatte
meine Verzauberung bemerkt. Erkannt, wie wichtig mir dieses einmalige
Gesamterlebnis gewesen war und aus Liebe geschwiegen. Warum sie mir das exakt
zu diesem Zeitpunkt eingestanden hatte, weiß ich bis heute nicht genau. Ich
habe aber einen Verdacht.
Natürlich habe ich einen satten, nein, den Hauptanteil an
unserer zerrütteten Beziehung. Ich bin kein sehr einfacher Mensch. Ein eher
egoistischer Eigenbrödler, noch dazu mit nur wenig oder gar keinem Geld. Nicht,
dass Wilma besonders auf Geld aus wäre. Aber zwischen ausreichend und gar
keinem Einkommen liegen Probleme, die der besten Beziehung auf Dauer nicht gut
tun. Ich bekenne mich nach wie vor dazu, dass Eigentum meiner Ansicht nach eher
belastet. Ich muss aber zugeben, dass der Hinweis darauf in einer ernsthaften
Diskussion über meine Defizite in der gemeinsamen Haushaltsführung
kontraproduktiv sein musste. Na ja, manchmal kann ich schon ganz schön blöd
sein.
Wer weiß, vielleicht hätte ich Wilma doch heiraten sollen.
Nicht, um unsere Liebe zu besiegeln oder ihr ein trügerisches Gefühl der
Sicherheit zu geben. Sondern ganz einfach, weil das eben auch dazu gehört, wenn
man sich liebt. Wahrscheinlich geht es gar nicht so sehr um die Ehe selbst, sondern
um die Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Nicht die Hochzeit selbst ist der
Liebesbeweis, sondern die Bereitschaft dazu. Und damit auch der diese
Bereitschaft implizierende Antrag. Das ist übrigens gut. Ob ich damit in
irgendeine Zitatensammlung kommen werde?
So, jetzt ist mein Namensvetter auf der Bühne tot und sie
weiß es nicht, Hofft noch auf eine gemeinsame Zukunft.
Vielleicht hält mich Wilma auch schon für tot, rein
innerlich natürlich. Vielleicht aber auch nicht. Und hofft trotz ihrer
Schnoddrigkeit noch immer auf so etwas wie eine gemeinsame Zukunft.
Ich werde es heraus bekommen und ich weiß auch schon wie.
Sobald sie aus Paris zurück ist, werde ich sie einfach fragen. Aber was mache
ich, wenn sie ja sagt?
Tosender Applaus und Sophie Lettenbergs langsam
richtig lästig werdende Körperkontakte, diesmal auf seinem linken Arm, holten
Palinski aus seinen Gedanken. Als Kleinsüß seiner Frau in den leichten
Abendmantel helfen wollte, fiel ihre Abendtasche versehentlich zu Boden.
So eine Chance konnte sich Palinski nicht entgehen lassen. Er
holte tief Luft, pumpte sich sozusagen und zusätzlich zu seinen knapp
einhundert Kilogramm noch auf. Dann ging er
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