Pastworld
William schob das Tablett beiseite und betupfte seinen Mund mit der Serviette. »Heute Abend«, sagte er, »werde ich in diesem Raum einem spirituellen und wissenschaftlichen Treffen‹ Vorsitzen, wie ich es nenne. Von Zeit zu Zeit veranstalten wir so etwas. Darf ich annehmen, dass du uns bei den Vorbereitungen behilflich sein wirst? Du wirst unsere leichtgläubigen Besucher zu dieser Soiree willkommen heißen und ich möchte, dass du bei dem Treffen selbst anwesend bist und mir assistierst. Es werden gewisse Kräfte auftauchen und sich vor unseren Besuchern präsentieren. Es könnte passieren, dass sie ein paar Dinge hören und sehen, die sie in Furcht versetzen. Was auch immer diese Dinge sein mögen, kann niemand mit Gewissheit sagen, und wir werden sicherstellen, dass sie als Teil eines großen Plans und der neuen Wissenschaft erscheinen. Ich halte mir zugute, dass sie glauben werden, ich hätte mithilfe dieser Wissenschaft zur Enthüllung eines Mysteriums beigetragen. Ein Mysterium, zu dem wir bisher keinen Zugang hatten.« Er unterbrach sich und kicherte leise vor sich hin. »Die Gaffer – Entschuldigung, unsere Besucher – glauben, dass meine Wissenschaft ein Tor ist, durch das sie einen Blick in die Ewigkeit werfen können, indem ich sie mit geliebten, verstorbenen Menschen in Kontakt bringe. Dafür wird dieser Raum nur notdürftig beleuchtet sein und auf unsere Aufforderung hin wirst du die Helligkeit der Gaslampen auf den Kaminsimsen entsprechend anpassen. Dies dient nur der Unterstützung unserer Illusionen. Glaubst du, du schaffst das?«
»Ich kann es versuchen«, sagte Caleb. Leighton stand auf und winkte ihn an eine der Gaslampen heran.
»Dieser kleine Hahn hier unten an der Leitung muss so herumgedreht werden, damit es heller wird, und so herum, damit es dunkler wird. Hier, versuch’s mal.«
Caleb hob den Arm, drehte an dem kleinen Hahn und das gelblich weiße Licht flammte auf und wurde heller. Als er ihn andersherum drehte, wurde der Glühstrumpf dunkler und das Licht wärmer. Caleb merkte, dass der Schatten seiner Hand auf der Wand plötzlich braun wurde.
»Siehst du, die Aufgabe ist ganz einfach«, sagte Leighton. »Mehr musst du im Augenblick nicht wissen. Du kannst jetzt nach unten gehen. Aber denk an deine Umgangsformen, das ist sehr wichtig heute Abend! Und vergiss nicht, dass alles, was du in diesem Haus siehst, zu unserem Handwerk gehört, zu unseren Geheimnissen, über die mit niemandem außerhalb gesprochen werden darf.«
»Ja, Mr William«, sagte Caleb. Mit einer leichten Verbeugung, wie er es bei Dienstboten in alten Filmen gesehen hatte, ging er zur Tür.
»Gut, das ist alles«, sagte Leighton und lächelte.
Caleb ging in die Küche hinunter. Von Mrs Boulter war nichts zu sehen. Er setzte sich an den Tisch und betrachtete das trübe Licht, das darauffiel. Sein Leben in der Außenwelt schien ihm inzwischen sehr weit weg zu sein. Niemand dort hatte auch nur die mindeste Ahnung, was mit ihm passiert war. Sicherlich würden sich die Nachrichten aber bald schon verbreiten und dann würde doch bestimmt jemand kommen und nach ihm suchen.
35
Mit seinem Mantel mit den vielen praktischen Innentaschen über der eleganten Hausuniform wurde Bible-Mac auf einen Botengang geschickt. Er sollte ein Päckchen für Mr William ausliefern.
Auf den belebten Gehwegen schlängelte er sich durch die Menge der Gaffer. Unterwegs gelangen ihm sogar ein paar kleine Taschendiebstähle, Kleinigkeiten nur, ein paar Münzen, ein seidenes Taschentuch. Niemand merkte etwas. Das Päckchen sollte in einem Haus an einem der eleganten Plätze abgegeben werden. Ein Butler nahm es in Empfang und überreichte ihm im Gegenzug einen Umschlag für Mr Leighton. Dies alles geschah mit äußerster Diskretion im Vorraum des Hauses, außer Sichtweite neugieriger Blicke.
BibleMac verstaute den Umschlag sicher in einer seiner Innentaschen und ging zurück auf die Straße. Er hatte jetzt ein bisschen Freizeit. »Also los«, sagte er und legte die Hand aufs Herz, »Zeit, sie zu besuchen. Ich habe das Gefühl, sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen zu haben.« Bester Stimmung bahnte er sich seinen Weg durch das Straßenlabyrinth. Der Vormittag war so hell, als hätte jemand alle Lampen in einem Zimmer angezündet, in dem es sonst eher düster war. Die Gebäude warfen rasiermesserscharfe Schatten. Die nassen Gehwege und das Kopfsteinpflaster glitzerten wie Sonnenlicht auf einem Fluss. BibleMac marschierte eilig in Richtung
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