Pastworld
heraus. Dann schüttelte er ihr ungeschickt die Hand. Wieder fielen ihm ihre wunderschönen türkisblauen Augen auf und der matte Schimmer ihrer blassen Haut.
Beide standen sich einen Augenblick lang verlegen gegenüber.
»Ich habe dich gesehen, wie du das Pferd gestreichelt hast«, sagte Eve.
»Es ist ein nettes Pferd«, entgegnete BibleMac grinsend und fügte hinzu: »Ich habe versucht dahinterzukommen, wie der Trick am Ende deines Auftritts funktioniert.«
»Das ist kein Trick«, sagte sie und sah ihn ohne zu blinzeln unverwandt an.
»Deine Augen …«, sagte BibleMac. »Es ist komisch, aber vor ein paar Tagen habe ich einen Jungen aus der Außenwelt, einen Gaffer, auf der Straße aufgelesen – er hat genau dieselbe Augenfarbe wie du.«
»Liest du oft Leute auf der Straße auf?«
»Hin und wieder. Er steckte in der Klemme und ich hab ihm geholfen.«
»Du warst nett zu unserem Pferd, du warst nett zu diesem Jungen …«
»Caleb.«
»Caleb. Du hast ihm geholfen, also bist du nett. Ich wusste es. Kommst du mal wieder, um dir die Vorstellung anzusehen?«
»Oh ja«, antwortete BibleMac, »schon sehr bald.
Vielleicht bringe ich dann Caleb mit. Bleibst du länger hier?«
Eve wandte sich an Jago. »Treten wir hier noch eine Zeit lang auf?«
»Wenn weiterhin so viele Zuschauer kommen, dann bleiben wir, es sei denn, wir werden weggeschickt.«
BibleMac sagte: »Ich muss jetzt nach Hause. Aber ich komme bald wieder.«
»Ja, komm ruhig vorbei und sag mir guten Tag«, sagte sie und lächelte ihn mit ihrem strahlendsten Lächeln an.
Auf dem Rückweg zur Fournier Street kam der Nebel mit Macht zurück. BibleMac dachte an Eve. Er hatte schon eine Menge Mädchen kennengelernt, aber keine war wie sie gewesen. Sie war etwas Besonderes. Er hatte ein wunderschönes Mädchen getroffen und sie hatte gesagt, sie fände ihn nett. Er fühlte sich ihr näher als je einem Menschen zuvor und dabei kannte er sie gar nicht richtig. Was bedeutete das? Er hatte das Gefühl, von einer Art schwindelerregender Verrücktheit erfasst worden zu sein.
36
Mr William Leightons Wohnzimmer war empfangsbereit. Der Raum lag mehr oder weniger im Dunkeln und es brannten nur einige wenige Lampen. Im Verlauf der letzten halben Stunde hatte sich eine Gruppe würdevoller, wohlhabender Einwohner und Gaffer eingefunden, die in der Düsternis des Novemberabends gemeinsam um den Tisch herumsaßen. Caleb hatte vereinbarungsgemäß alle nassen Mäntel, Umhänge, Hüte und Schals in Empfang genommen und aufgehängt. BibleMac hatte den Besuchern an der Tür das Geld abgenommen, nur Scheine. Der Stapel auf dem Tablett wurde immer höher.
Die Männer trugen dunkle Abendanzüge, hohe weiße Kragen und Brokatwesten mit goldenen Uhrketten, die Frauen überwiegend Samtkleider in gedecktem Pflaumenblau oder Grüntönen. Gegen die Kälte hatten sich einige von ihnen gemusterte Schals um die Schultern gelegt.
Die Versammlung begann pünktlich. Caleb schloss die Doppeltüren und zog die schweren Vorhänge vor. Mr Leightons Auftritt war äußerst effektvoll. Jeder der Gäste setzte sich aufrechter hin, wie Schulkinder, wenn der Direktor unangekündigt erscheint. Sie schienen bereit zu sein, auf alles gefasst. Caleb war gesagt worden, er solle an der Wand stehen und warten, bis er gebraucht wurde.
Von BibleMac war nichts zu sehen.
Leighton nahm Platz. Er sprach mit gesenktem Kopf und seine Hände lagen mit ausgestreckten Fingern auf dem Tisch.
»Oh Geist, sei unseren Bemühungen gnädig«, sagte Mr Leighton. »Unterstütze unsere Wissenschaft. Eine Wissenschaft, die einzig und allein der Enthüllung der Wahrheit dient. Hilf uns allen, die wir hier versammelt sind, mit den Mysterien des Lebens und den Verlusten durch Tod umgehen zu lernen – und mit dem Grenzland zwischen diesen beiden Welten. Dem der Lebenden und dem der Toten.«
Es wurde sehr still im Raum. Man hörte das Zischen und Knacken der Glühdrähte in den Gaslampen und in der Luft lag der aufdringlich süßliche Geruch von frisch erblühten Hyazinthen.
»Jetzt wollen wir unsere Hände auf den Tisch legen und uns anfassen.«
Caleb sah, wie die Besucher mit ihren Händen einen Kreis auf dem Tisch formten. Das Schweigen vertiefte sich, als alle in höchster Konzentration die Köpfe senkten. Der Raum hielt den Atem an. Nach einer Weile ergriff Leighton das Wort. »Bist du da?«
Es blieb lange still.
Dann sagte Leighton: »Bist du da? Wenn du heute Abend anwesend bist, gib uns bitte ein kleines
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